Aus der Welt der Bücher

 

 

Ein Glück, dass ihr Bücher oft geduldiger seid als deren Autoren - selbst wenn man euch nicht gleich liest.

Ihr seid mir so lieb und wert, so wert, dass ich gerne von euch berichte.

 

 

Christina Herr (Hrsg.), Mit Feinsinn und Hochgefühl. Hochsensibilität annehmen, feiern und gestalten. Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn, 2023

 

Ein Band über Hochsensibilität, das diese als Begabung, als Geschenk versteht und nicht als Schwäche, als Krankheit gar, von der man unbedingt geheilt werden müsse - im Buch überzeugend dargestellt, in einzelnen Beiträgen von hochsensiblen Autorinnen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Dennoch lässt mich dieses Buch unbefriedigt zurück. Obwohl die Herausgeberin in dem einleitenden Beitrag erklärt, dass Frauen und Männer zu gleichen Anteilen hochsensibel sind, kommen darin ausschließlich Frauen zu Wort. Haben Männer nicht gleichermaßen und gleichberechtigt etwas zu diesem Thema beizutragen?

 

Martin Geck, Die kürzeste Geschichte der Musik, Reclam Verlag, Ditzingen/Stuttgart, 2020

 

Dies Buch des 2019 verstorbenen Musikwissenschaftlers (unter anderem Titel erschien es bereits 2006) hat nicht mal 200 Seiten, ist also ausgesprochen subjektiv und für mich ein großes Lesevergnügen.

Es setzt nicht erst mit Monteverdi (oder sogar erst mit Bach) ein, sondern mit der nicht überlieferten Musik der Naturvölker und der Antike; zudem spart es die populäre Musik nicht aus. Pars pro toto also ein Gang durch die ganze Musikgeschichte und jedem Leser zu empfehlen, der sich nicht überfrachten möchte. Oder der sich mit den Details bereits vertraut weiß.

 

Elisabeth Schinagl, Francobaldi. Familiengeheimnisse. Historischer Bayernkrimi. Allitera Verlag, München, 2023

 

Das belesene und herausragend recherchierte Buch ist verortet im Bistum Eichstätt, dem Kurfürstentum Bayern sowie dem Heiligen Römischen Reich zwischen Französischer Revolution und Napoleon.

Eingewoben ist dieses Panorama in einen Kriminalfall, der ein Schlaglicht wirft auf die überkommenen Moralvorstellungen damals sowie die auf Heim und Herd beschränkte Stellung der Frau.

Ein gewisses Manko an diesem Roman ist, dass der Kriminalfall - vielleicht eben weil der Ermittler ein Mann ist - letztlich nicht vollends aufgeklärt wird. Sonst aber sei das Buch jedem geschichtsinteressierten Leser sehr ans Herz gelegt.

 

 

Tessa Korber/Elmar Tannert, True Crime Tatort Franken. ars vivendi verlag, Cadolzburg, 2023

 

Eine Tat ist eine Tat ist eine Tat. Und jede hat eine Geschichte. Geschichten, die oft noch nicht auserzählt sind.

Die beiden Autoren haben sich schillernder Kriminalfälle aus Franken angenommen, die sich, wie der Titel True Crime zeigt, tatsächlich ereignet haben. Sie sind tief in Tat, Täter und Zeit eingedrungen und haben uns, stets hart an den Fakten, die "Geschichten hinter der Tat" erzählt, mal aus der Sicht des Täters, mal des Opfers - oder aus der Perspektive der Ermittler oder von Zeitzeugen. Vom Mittelalter bis in unsere Zeit.

Vielleicht am bekanntesten ist der Raub der Volkacher Rosenkranzmadonna 1962. Alle Geschichten sind großartig erzählt, der Hintergrund geradezu phänomenal recherchiert. Übrigens haben die beiden Autoren sich die Fälle untereinander aufgeteilt, also nicht an jedem Fall zusammen geschrieben. Von ihnen gibt es übrigens zwei Bände mit solchen Kriminalfällen.

    

Mark Jones, 1923. Ein deutsches Trauma. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Propyläen Verlag Berlin, 2022

 

Der Blick deutscher Historiker auf die jüngere deutsche Geschichte ist mir bisweilen zu zementiert und oberlehrerhaft. Über Kaiserreich, Weimarer Republik und Drittes Reich lese ich deswegen auch gern Bücher nicht deutscher Autoren. Mark Jones, Professor am University College Dublin, ist ein glänzendes Buch über das Jahr der galoppierenden Inflation geglückt. Er wahrt zwar die Chronologie, ist aber kein Protokollführer, sondern ein begnadeter Erzähler. Er konzentriert sich auf die politische Geschichte, spart also das Nebeneinander von politischem Abgrund und künstlerischer Hochblüte ein wenig aus. Nicht nur deshalb lese man über dieses Epochenjahr der Geschichte weitere aktuell erschienene Titel.

 

Andrea Kerstinger, Fingerübungen. pannonisch, prosaisch, poetisch. edition lex liest 12, Oberwart/Burgenland, 2021

 

In diesem Band stellt uns die vielseitig begabte Autorin Kurzprosa und Gedichte vor. Sie tut es, wie sie mit einem Augenzwinkern schreibt, aber nicht auf der Stelle - sondern erst nachdem sie die Wäsche aufgehängt, die Küche zusammengeräumt und die Welt gerettet hat.

Ihre Kurzprosa, aus dem prallen Leben gegriffen, überzeugt; da sitzt ein jeder Satz, kein Wort ist zu viel. Gerne verweile ich gedanklich noch ein wenig - und ich freue mich auch an ihren Gedichten. Die Autorin ist zweisprachig, deutsch und kroatisch, aufgewachsen, einige im Buch versammelte Gedichte sind es auch. Kroatisch ist poetisch; ich denke an das Tschechische, das ich als Student gelernt habe, freu mich am Erinnern und trauere um das über die Jahre Vergessene. 

 

 

Johannes Sachslehner, Wien. Biografie einer vielfältigen Stadt. Styria Verlagsgruppe, Wien/Graz, 2021

 

Ein opulentes Buch über die Donaumetropole gilt es anzuzeigen. Eines vorweg: Es ist zu opulent für Koffer und Rucksack, ist auch nicht als Reiseführer gedacht. Angefangen bei den alten Römern, erzählt der Autor die Geschichte der Stadt und nimmt dabei auch die Zeit vor 1800 in den Blick. Ihn interessieren weniger die Großkopferten - er erzählt von den Wienern.

Vielleicht hätte das Kapitel über die Zeit nach 1945 etwas breiter ausfallen können; der etwas unprofessionell wirkende Flattersatz stört mein optisches Empfinden. Sonst aber ein großzügig bebilderter und lesenswerter Band.

 

Michael Klein, Bankier der Barmherzigkeit: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Neukirchener Verlag, Neukirchen/Vluyn, 4. Aufl. 2018

 

Nicht in den Hochburgen des Geldes, nein, im ländlichen Westerwald liegt der Ursprung jener Spar- und Darlehenskassen, die weithin noch heute den Namen Raiffeisen führen - und den Namen in die Welt hinaus trugen. Friedrich Wilhelm Raiffeisen ging es anfangs freilich nicht ums große Geld, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe, in Genossenschaften, die nach dem bis heute gültigen Grundsatz Einer für alle, alle für einen allen Mitgliedern im Falle von Not zu Hilfe kamen und Kredite gewährten.

Raiffeisen war kein Wirtschaftsliberaler; er handelte aus christlichen Überzeugungen, ja in Gottes Auftrag. Das machte ihn angreifbar, jedoch wies gerade sein fester Glaube ihm unbeirrbar seinen Weg. Es ist das Verdienst des Autors, an diesen Vorreiter des sozialen Ausgleichs erinnert zu haben.

     

Nicolette Baumeister/Gerhard Gross, Architekturführer München. DOM publishers, Berlin, 2022

 

München boomt, seit Jahrzehnten, spätestens seit den Olympischen Spielen 1972. Trotz dieses Booms war die Stadt bis in die jüngste Zeit kein Zentrum moderner Architektur. Das hat sich geändert. Wer das moderne München erkunden will, greife zu diesem Buch, das in aller Opulenz handlich genug ist, um in Tasche oder Rucksack Platz zu finden. Die beiden Autoren laden uns zu zehn Spaziergängen ein, auch auf den Spuren noch nicht ganz ins Werk gesetzter Projekte. Ein kleines Manko sind die teils nur schlecht lesbaren Beschriftungen der Übersichtskarten. Auch mögen einige Bauten der Auswahl der Wege (nicht das ganze Stadtgebiet wird abgedeckt) zum Opfer gefallen sein.

Insgesamt aber dank der durchwegs großartigen Fotos sehr empfehlenswert. Und zudem brandaktuell.

 

Gaston Dorren, In 20 Sprachen um die Welt. Die größten Sprachen und was sie so besonders macht. Aus dem Englischen von Juliane Cromme. Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, 2022

 

Was macht Sprachen besonders, und ganz besonders jene, die am häufigsten gesprochen werden?

Dieser Frage geht der niederländische Journalist, Autor und Sprachfreak Gaston Dorren in diesem lesenswerten Buch nach. In kurzen Beiträgen stellt er uns auch jene - und dies sind so einige - Weltsprachen vor, die sich nicht alphabetischer Zeichen bedienen; allein dies erweitert unseren eurozentrisch-westlichen, am lateinischen Alphabet orientierten Blickwinkel. Dorren geht auch der (für ihn nicht so einfach zu buchstabierenden) Frage nach, wodurch das Englische zur Lingua franca der Moderne geworden ist. Der Beitrag über das Deutsche bietet dem Sprachinteressierten allerdings kaum wirklich Neues, was das Buch keineswegs schmälert.

 

Meyers Recherche-Almanach, Verlag Klug & Künftig, Ergänzungs-Lieferung XL, 2022

 

Recherchezeiten sind leider schwierige Lesezeiten: Man eilt von einem Regal zu anderen, blättert mal hier, mal da, quält sich durch unergiebige Periodika und fragt sich am Ende des Tages: Was bleibt?

Einige Farbtupfer: Weimarer Straßennamen, Frauen am Bauhaus, Ladegast-Orgeln, Spätromantik und Orgelbewegung. 

In solchen Zeiten fehlt mir meist die innere Ruhe zum Lesen Eurer Bücher. Leider. Habt bitte ein wenig Geduld.

 

Jörg Martin Dauscher, Tetaun. Treuchtlinger Heimatgeschichten. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2022

 

Mit dem Blick eines Reisenden oder auch des Gestrandeten kehrt der zwar in der Region aufgewachsene, dort aber nicht recht heimisch gewordene Autor in der Corona-Zeit nach Treuchtlingen zurück. Ohne zu verklären, erzählt er die Geschichten von Menschen, die es teils von weit her nach Treuchtlingen verschlug und dort "Heimat" zu finden suchten. Zum Beispiel die von Ahmed, der Treuchtlingen "Tetaun" nennt, weil ihm der Name des Ortes nicht über die Lippen kommen will. Ein sehr berührendes Buch, das es dem Leser ermöglicht, sich den Schauplätzen meines Krimis "Mord im Altmühltal" auch auf andere Weise zu nähern.

  

Elisabeth Schinagl, Der Bierkönig von München. Romanbiografie. Allitera Verlag, München, 2022

 

Josef Schülein, Sohn eines jüdischen Tuchhändlers aus dem kleinen Thalmässing an der Schwelle zwischen Franken, Oberbayern und der Oberpfalz, wächst, über schwere Krisen und Schicksalsschläge hinweg und getragen von einer ebenso starken Familie, im großen München zu einem erfolgreichen, charismatischen Unternehmer heran. Ihm ein Buch gewidmet zu haben, ist schon ein Verdienst der Autorin.

Mit großer Behutsamkeit und Empathie, mit überragender Sachkenntnis, erzählt sie uns nicht allein vom Leben des "Bierkönigs", sondern auch von der anbrechenden Moderne - vor allem aber vom reichen jüdischen Leben in München (darüber gibt es viel zu wenig Bücher). Erfüllt, tief bewegt und bereichert legte ich das Buch schließlich nicht allzu weit zur Seite, um es nahe bei mir zur nochmaligen Lektüre zu wissen. Meisterhaft.

    

Paul Lowe, Das perfekte Bild. Die Geheimnisse der großen Fotografen. Aus dem Englischen von Stefanie Kuballa-Cottone. Prestel Verlag, München, 2021

 

Viele Lehrbücher zur Fotografie stellen die Technik in den Vordergrund. Verschlusszeit, Blende und Helligkeit sind gewiss wichtig, entscheiden aber jedenfalls nicht allein über das Ergebnis. Ein optimales Foto erfordert ein gutes Auge des Fotografen und auch seine Intuition und Sensibilität. Hier setzt dieses Buch an. Anhand instruktiver Beispiele zeigt uns der Autor, worauf es letztlich ankommt, damit das Foto nicht nur technisch, sondern auch erzählerisch überzeugt. Man lernt hierbei auch, dass auch vermeintlich "schlechte" Fotos einzigartig sein können.

Das bestens ins Deutsche übersetzte Buch ruft allerdings nach einer Rüge an die Adresse des Verlages: Der Name der Übersetzerin steht nur im Kleingedruckten des Impressums, wird aber nicht vorne und zusammen mit dem Autor genannt.

 

Mark Forsyth, Eine kurze Geschichte der Trunkenheit. Der Homo alcoholicus von der Steinzeit bei heute. Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Taschenbuch-Ausgabe Klett-Cotta, Stuttgart, 2021

 

Eine Erwartung enttäuscht das Buch gar schnell: es ist keine chronique scandaleuse des modernen Jet-Sets. Das letzte Kapitel erzählt von der Prohibition in den USA, das erste handelt vom Einfluss des natürlichen Alkohols auf die Evolution und nimmt so auch das Tierreich in den Blick. Weitere Teile des Buchs beschäftigen sich mit Ägypten, China und Rom, mit der Überlieferung der Weltreligionen, wobei der Autor erhellende Querbezüge zum Hier und Heute herstellt.

Es ist sicher kein Zufall, dass das Buch von einem Engländer geschrieben worden ist; die Mischung aus Humor und Understatement (ganz mein Stil) machen das schmale, sprich nicht geschwätzige Buch zu einem abgründigen Lesevergnügen.

   

Bernd Storz, Sommergespräche. Gedichte. Edition Klöpfer, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 2021

 

So beiläufig der Titel, Sommergespräche, prima vista scheinen mag, kann hier von small talk keine Rede sein. Der Autor geht, en gros et en détail, in Land und Gesellschaft und in jedem Einzelnen, den Wunden und Brüchen, den Irrungen und Wirrungen, den tiefen Sehnsüchten nach, in vielfältigen Bildern aus Natur und Kunst, Gestern und Heute, aus seiner baden-württembergischen Heimat.

Der Leser staunt. Fühlt sich nicht nur angesprochen, sondern in ein Gespräch mit dem Autor vertieft und legt den Band nach dem letzten Gedicht erfüllt und bereichert - nicht zu weit weg. Großes Lob, dem Dichter und dem Verleger.

  

Robert Seethaler, Der letzte Satz. Mit Zeichnungen von Sebastian Rether. In Lizenz für die Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, 2021

 

Im letzten Satz seiner "Lebens-Symphonie" reist Gustav Mahler zu Dampfschiff aus den USA zurück nach Europa. Nie hat er Kompromisse geschlossen, hat immer das Äußerste und Größte angestrebt. In Reue verspürt er nun, dass er sich mit etwas wird arrangieren müssen, das größer und stärker ist als er. 

Robert Seethalers karges, doch tiefgründiges Deutsch - von mir schon beim Trafikanten bewundert - strömt seidig dahin. Ein großer Stilist vor dem Herrn führt hier die Feder. Meisterhaft. Sebastian Rethers Zeichnungen beleben die Erzählung und wirken ebenfalls durch ihre Sparsamkeit.

 

 

Steven Pressfield, The War of Art. So durchbrechen Sie innere Blockaden und gewinnen kreative Energie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karin Dufner. Autorenhaus Verlag, Berlin, 2021

 

Wieso werden wir nicht kreativ? Des Verfassers Antwort: Nicht die (äußeren) Umstände, sondern allein unsere inneren Widerstände hindern uns daran, unser Buch zu schreiben oder unseren Film zu drehen. Also ein Buch zur Selbsterkenntnis und Selbsthilfe.

So recht Pressfield, ein amerikanischer Bestsellerautor, damit auch hat, ist mir sein Fazit zu holzschnittartig. Hier die stets erfolgreichen Profis, dort die stets selbstverschuldeten Amateure. Die Grautöne fehlen. Man lese daher das Buch bei allem persönlichen Gewinn auch mit einer gewissen kritischen Distanz.

Bemerkenswert unbekümmert, ja geradezu inflationär wird von den Wortfeldern Kampf, Schlacht und Krieg Gebrauch gemacht. Vielleicht auch deshalb ist bei dieser deutschen Ausgabe der amerikanische Haupttitel The War of Art unübersetzt geblieben. Mit dem englischen Wort war schließt man hierzulande nun einmal bereitwilliger Frieden als mit dem deutschen Krieg.

 

Georg Jung, Auf den Spuren von Theodor Fontane durch die Mark Brandenburg, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2. Aufl. 2019

 

Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" füllen mehrere Bände, die man bewältigen muss; nicht alles ist auch jetzt noch von Interesse. Also empfiehlt es sich, mit diesem knappen, ansprechend geschriebenen und farbig illustrierten Buch auf Reisen zu gehen - und sein Wissen bei Fontane zu vertiefen.

Ich entdeckte es in Schloss Paretz, welches schon Fontane ausführlich würdigte, und es hat mich so angesprochen, dass ich es erstanden habe, obwohl ich auf Reisen eher wenig Bücher kaufe.

 

Martin Spät, Mein SuB, Verlag Längst & Überständig, Wartaweil, 2021

 

Leider finde ich derzeit nur wenig zum Lesen, deswegen sei heute all jener wunderbaren Bücher gedacht, die noch auf den zahllosen SuBs dieser Lese-Republik auf das Gelesen-Werden warten.
Glaubt mir bitte, Ihr seid mir lieb und wert. Ich baue auf eure Geduld und hoffe auf den Winter.

 

Rüdiger Edelmann, Lieblingsplätze Rhön. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, Neuauflage 2021

 

Die Rhön, das Land der offenen Fernen (Herbert Sailer), bietet dem Reisenden viel, vor allem unberührte Natur. Wer es kennenlernen will, greife zu diesem gut recherchierten und inspirierenden Buch. Der Autor teilt darin mit uns nicht nur die Naturschönheiten dieses einzigartigen Gebirges, das er von Kindesbeinen an kennt, er macht uns auch mit dem oft unterschätzten kulturellen Leben und mancher Skurrilität vertraut. Auch der oft stiefmütterlich behandelte thüringische Anteil der Rhön kommt zu seinem Recht. Mithin sehr zu empfehlen.

     

Ursula Schmid-Spreer, Nichts ist vergessen. Ein Nürnberg-Krimi. edition krimi, Hamburg, 2021

 

Kriminaloberkommissar Klaus Hofmockel hat es nicht gerade leicht. Seine Kollegin (und Freundin) Belu Nürnberger hat sich das Bein verletzt, also sitzt er allein am Schreibtisch. Ausgerechnet als die Presse einen "Cold Case", einen unaufgeklärten Mord im Fesselsex-Milieu vor etwa 30 Jahren ausgräbt und damit der Kripo Dampf im Kessel macht. Hinzu kommt eine neue Oberstaatsanwältin mit Haaren auf den Zähnen.

Der virtuos komponierte Krimi mit scharfen Schnitten lässt den Leser fast bis zur letzten Seite rätseln. Subtil thematisiert der Roman ferner gesellschaftliche Fehlentwicklungen, familiäre Verdruckstheit und Bigotterie, wodurch er an Tiefe und Aktualität gewinnt und den Leser nachdenklich werden lässt. Sehr zu empfehlen.

     

Uwe Bogen, Stuttgart für Fortgeschrittene. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Kehrwoche, Daimler, Bausparkassen - in seiner teils von der Anthroposophie, teils vom Pietismus gespeisten Tüchtigkeit dachte der Schwabe eher nicht daran, an seinem Image zu feilen - bis er schließlich merkte, dass es von solchen Stereotypen geprägt und deshalb ausbaufähig war.

Hier setzt dieses Buch an. Es zeigt, dass Stuttgart nicht bloß Schaffen und Häusle-Bauen ist. In dieser Stadt finden sich reichlich Eigen-Sinn und subversive Kunst und Kultur auf mehreren hundert Metern Neigung. Weswegen Treppen, die "Stäffele", für den nötigen Über-Blick sorgen. Ein Buch mit Humor, das man immer wieder gerne zur Hand nimmt und dazu ein Viertele schlotzt.

 

Reclams Städteführer Bamberg/Bayreuth. Architektur und Kunst. Von Elisabeth Wünsche-Werdehausen. Reclam Verlag, Stuttgart, 2020

 

Die benachbarten und etwa gleich großen Städte Bamberg und Bayreuth haben eine sehr unterschiedliche Geschichte und waren einander nicht immer grün. Mancher Bamberger hat es bis heute nicht verwunden, dass Bayreuth zur Hauptstadt des Regierungsbezirkes Oberfranken ernannt wurde. Hinzu kommt der konfessionelle Gegensatz zwischen dem katholischen Bamberg und dem evangelischen Bayreuth.

Nicht nur Reisende werden es begrüßen, dass die beiden so feindlichen Geschwister hier schiedlich-friedlich zusammen vorgestellt werden. Ein Vademecum, das in jede Tasche passt und, anders als frühere Titel dieser Reihe, auch farbige Fotos enthält.

 

Marion Demme-Zech/Frank Krajewski, Ahrtrüffel. Kriminalroman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Ahrtal, 2034. Der Trüffelzüchter Peter Siedenburg findet auf seiner Plantage eine Leiche. Noch höher steigt der Blutdruck, als sich die ehrgeizige Journalistin Greta Schönherr an seine Hacken heftet, auf der Suche nach der großen Story über den skandalumwitterten Unternehmer. Siedenburg bleibt bloß die eine Chance: Er stellt Schönherr in den Dienst seiner Verteidigungsstrategie.
Der virtous komponierte Krimi spielt in der Zukunft und fesselt den Leser bis zu seinem fulminanten Ende. Besonders gefallen hat mir der äußerst abgründige Humor. Ein jedes Wort sitzt und kein Satz zu viel. Gratulation.

 

Karl Stankiewitz, Aus is und gar is. Wirtshäuser, Theater, Cafés, Nachtclubs und andere verlorene Orte Münchner Geselligkeit. Allitera Verlag, München, 2. Aufl. 2018

 

Obschon im Prinzip keineswegs abrisswütig, hat auch München Orte der Kultur und der Geselligkeit eingebüßt, wobei der Anfang vom Ende häufig der Krieg und das Ende selbst der Zahn der Moderne war. Auch einige Spielstätten Karl Valentins und Liesl Karlstadts gibt es heute nicht mehr.

Dankenswerterweise hat der Autor diese Stätten, auch Hotspots der 60-er und der 70-er Jahre, dem Vergessen entrissen. Da er nicht allein von den Gebäuden, sondern auch von den Menschen erzählt, die diese Orte belebten, ist eine kleine (und instruktiv illustrierte) Münchner Kulturgeschichte entstanden.

 

Stefanie Hohn, Die Ewigkeit des Augenblicks. Roman. 2019 in Eigenregie veröffentlicht.

 

Für die junge, kunstsinnige Ava, die das Trauma einer Fehlgeburt noch nicht verwunden hat, scheint ein Umzug nach Paris das Richtige zu sein. Dort indes fühlt sie sich weit weg von ihrem Ehemann Dirk. Nächtliche metallische Schläge, die vom Nachbargrundstück ihres Hauses im schicken Vorort Meudon dringen, beunruhigen zusätzlich. Ava geht der Sache auf den Grund, betritt die benachbarte Villa und begegnet ...

Der Autorin gelingt eine Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit. Herausgekommen ist ein wunderbarer Roman - über die Kraft der Kunst und der Liebe. Er hat mir bestens gefallen.

 

Kerstin Lange, Lügenbilder. Kriminalroman. Wellhöfer Verlag, Mannheim 2020

 

Der verwitwete Kriminaloberrat i. R. Ferdinand Weber wird im sonst eher beschaulichen Speyer Augenzeuge eines Anschlags auf einen PKW, dessen Insassen, ein Rechtsanwalt und ein Ahnenforscher, ums Leben kommen. Nicht zur Freude seiner früheren Kollegen nimmt Weber selbst die Ermittlungen auf. Galt der Anschlag beiden Männern? Oder nur einem von ihnen? Kurz darauf wird auch noch eine 84-jährige Frau brutal überfallen. 

In dem stringent choreographierten und sprachlich gelungenen Kriminalroman lässt uns die Autorin in die Abgründe der nur vordergründig frommen pfälzischen Bischofsstadt schauen. Hinter der Kulisse gediegener Bürgerlichkeit jedoch schlummern alte, finstere Geschichten aus der Zeit des Dritten Reichs, und es sind dumpfe Parolen rechtsradikaler Parteien zu hören. Ein großartiges Gesellschaftsportrait en miniature. 

  

Esther Gille, Novemberkind. Autobiographie. Europa Verlagsgruppe, 2020

 

Vorab: Kein Autor, kein Dramatiker, keine Drama-Queen kann (und mag) sich so etwas ausdenken. Die Lebensgeschichte, die uns die Autorin hier erzählt, ist so krass, dass sie uns unvorstellbar erscheint; eine nicht enden wollende und unbarmherzige Abfolge von Traumata. Gefühllosigkeit, Verletzungen und Demütigung. Ein Leben im permanenten Ausnahmezustand.

Man legt das Buch nach der Lektüre verstört beiseite, und doch erleichtert darüber, dass die Heldin noch lebt und uns diese Geschichte erzählen kann.

 

Waldemar Fromm/Manfred Knedlik/Marcel Schellong (Hrsg.), Literaturgeschichte Münchens. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2019

 

Im Vorwort der Herausgeber wird dies gut 600 Seiten starke Werk demütig als "Kleine Literaturgeschichte Münchens" bezeichnet, über die es ein bisserl hinausgewachsen sei; eine Bescheidenheit, die dem Buch nicht ganz gerecht wird. Opulent und umfassend von den Anfängen der Stadt an erzählt es uns von aller Literatur, der Ur-Münchner und der Zugereisten, in knappen, schlaglichtartigen Kapiteln, für die jeweils eigene Autor(inn)en verantwortlich zeichnen.

Mehr also als nur ein Überblick und sehr zu empfehlen.

     

Karin Joachim, Großstadtflüstern. Roman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Die junge emanzipierte Karolina Offermann träumt von einer Filmkarriere in Berlin; ihr Vater aber ist ein Kölner Möbelfabrikant, der vor allem Herrenzimmer im Portfolio hat. Zudem belastet Karolina der rätselhafte frühe Tod ihrer Mutter. Doch sie lässt sich nicht beirren. Und dann ist ja noch Hollywood.

Nach etwas mühevollem Einstieg fasziniert die Geschichte, die die Autorin fulminant zu erzählen weiß. Das glänzend recherchierte Buch reflektiert zudem kundig die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik am Vorabend des Schwarzen Freitags. Ein Roman, den ich gern gelesen habe.

 

Elisabeth Wendelspiess, Gefährliche Playoffs. Kriminalroman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Zwei Morde in den heiligen Hallen des SC Bern erschüttern den Eishockeyclub. Bald ist die Qualifikation für die Playoffs in großer Gefahr, und Carole, die Frau des Cheftrainers, verliebt sich um Kopf und Kragen in einen der Cracks. Stoff genug für einen Krimi.

Der hervorragend recherchierte, sehr spannend dargebotene Krimi macht uns außerdem mit dem blutigen Konflikt um den Schweizer Jura bekannt. Mit dem Ruf Los von Bern! und der Gründung des Kantons Jura im Jahre 1979. Großartig.

    

Brigitte Lamberts, El Gustario de Mallorca und das tödliche Gemälde. Kriminalroman. edition oberkassel, Düsseldorf, 2020

 

Abermals kommt für "El Gustario", den Mallorca-Residenten Sven Ruge, das Schreiben von Restaurantkritiken zu kurz: Denn er verliebt sich, um Kopf und Kragen, in Sara aus der Schweiz. Die gibt ihm zunehmend Rätsel auf und zieht ihn in ein Netz aus Lug, Raub und Mord hinein.

In diesem virtuos komponierten Krimi konfrontiert uns die Autorin mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Vergangenheit. Wie in ihren vorangegangenen El-Gustario-Krimis kommen Schauplatz und Kulinarik zu ihrem Recht - in diesem, ihrem dritten, fesselt vor allem die eindringlich knapp aufgezogene Geschichte, um deutsche Juden auf Mallorca, skrupellose Nazis und das franquistische Spanien. Subtiler Humor macht den Roman zu einem lehrreichen Lesevergnügen. Sehr zu empfehlen.

 

Bastian Zach, Donaumelodien - Praterblut. Historischer Kriminalroman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Wien, 1876. Prunkvoll sind die Paläste der Ringstraße. Doch der Rausch der Gründerzeit ist dahin, der Champagner ist getrunken, und nicht nur in den Vierteln an der Peripherie herrscht Armut. Und zügellose Gewalt obendrein.

Der virtuos komponierte Krimi ist schlank, ohne knapp zu sein. Mit kräftigen, gezielten Pinselstrichen und sprachlich brillant zeichnet der Autor das alte Wien, eine Metropole mit Glanz, aber auch Lug und Trug. Migranten aus allen Kronländern, die in dieser Zeit nach Wien strömten, Parvenüs und reichlich Abgehalfterte. Die Gesellschaft einer Stadt an der Schwelle zur Moderne. Großartig.

  

Claudia Schmid, Mörderische Fluss-Kreuzfahrten. 11 Flüsse, 11 Morde. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2020

 

Fluss-Kreuzfahrten sind fad und ohne Nervenkitzel? Weit gefehlt! Selbst auf Neckar und Ems, ja sogar auf der beschaulichen Saar lauern Mord und Totschlag. Allen Tätern hart auf der Spur ist Edelgard, die "Miss Marple" zwischen Vorder- und Achterdeck. Ja, und dann ist da noch ihr Göttergatte Norbert, der ... nein, nicht zu viel verraten!

Dramaturgisch brillant und mit großzügig dosiertem, jedoch auch subtilem Humor sorgt die Autorin für beste Unterhaltung. Die richtige Lektüre auch, aber nicht nur für sonnige oder verregnete Urlaubstage.   

  

Robert Seethaler, Das Feld. Roman. Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2020 (Taschenbuch-Ausgabe)

 

Ich-Erzähler, die zu Lebzeiten zurückblicken, gibt es zuhauf in der Literatur. Hier jedoch stellt uns der Autor zuerst den Friedhof des fiktiven Ortes Paulstadt vor, und dann lässt er die Toten erzählen - und gibt ihnen allen zwar nicht das Leben, sehr wohl aber ihr Ich zurück. Erinnerungen, so unterschiedlich, wie wir Menschen sind - teils weitschweifend, teils nur aus einem einzigen Wort.

So fügen sich ihre Stimmen, zum Abbild der Stadt. Zu einem Spiegel unseres Selbst. Was für ein einfühlsames, liebevolles, zu Herzen gehendes Buch. 

 

Jennifer B. Wind, Als Gott schlief. Thriller. Lizenzausgabe Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2015

 

Eine Mordserie an katholischen Geistlichen und Ordensschwestern hält die Wiener (und Münchner) Polizei in Atem; eine Serie, die keiner klaren Logik folgt. Erste Ansätze sind Bücher, die neben den Ermordeten (an einer bestimmten Stelle aufgeschlagen) entdeckt werden.

Zu Herzen geht, dass alle Kommissare etwas Gebrochenes haben, zumal die großartige Protagonistin Jutta Stern. Ihr zu Hilfe kommt der geniale Ermittler Thomas Neumann, gegen dessen Perfektion sich, entgegen aller Plotter-Weisheiten, bei dieser Gemengelage kein innerer Widerstand des Lesers regen mag. Nichts Menschliches und Teuflisches ist diesem Thriller fremd; ein großartiges, tief unter die Haut gehendes Werk, das ich nur in kleinen Portionen lesen konnte.

 

Ute Cohen, Poor Dogs. Roman. Septime Verlag, Wien, 2020

 

Pecunia non olet. Das Ranking auf der nach oben offenen Richter-Skala des Big Business der primäre Lebenszweck. Liebe und Sexualität das Gleitgel dafür. In satirischer Schärfe dargestellt an André und Eva, beide tätig für eine amerikanische Unternehmensberatung und beide zugleich Produkt und Opfer eines Systems, das kein Gewissen kennt.

Ein sprachgewaltiger, bilderreicher Roman, der den Leser fordert, erschöpft, ja verstört. Was an der Begabung der Autorin liegt, die Dinge nicht nur scharf zuzuspitzen, sondern auch zu einem Konzentrat einzudampfen, auf gerade 220 knappen Seiten ohne Netz und doppelten Boden. Beeindruckend.

 

Ursula Schmid-Spreer, Cork, noch mehr Mord. Krimis aus Irland. adakia Verlag, Leipzig, 2020

 

Zwei pensionierte und zwei aktive Kriminalkommissare, dabei auch ein Kommissar aus Deutschland, treffen sich im Pub zum Stammtisch. Neben so manchem Guinness gibt es auch einiges zu erzählen, hat doch jeder von ihnen so manch skurrilen Fall gelöst. Und dann gibt es noch einen ungelösten tragischen Fall, der einen der vier persönlich betrifft: den vermeintlichen Unfalltod seiner Frau. Er wird als letztes gelöst.

So ist Spannung bis zur letzten Seite garantiert. Ferner bietet der Band Wissenswertes über Land und Leute; auch gibt es zu jedem der zwölf Krimis mindestens ein Rezept aus der irischen Küche. Dazu einige wunderschöne Fotos. Macht Spaß, beim Lesen und beim Genießen!

 

Die unterschätzten Städte in Europa. DuMont Reiseverlag, Ostfildern, 2019

 

Europa ist ein Kaleidoskop der Kleinteiligkeit; es lebt und webt also nicht nur in London, Paris und Berlin. Dank diesem inspirierenden Band lässt sich auf weniger ausgelatschten Pfaden wandeln. 15 Autoren stellen uns 15 sträflich unterschätzte Städte in ganz Europa vor, aus Deutschland sind es Bremen, Erfurt und Mannheim; eine recht gute Wahl, wie ich meine.

Das Buch ist opulent, fast zu schwer fürs Reisegepäck oder gar die Jackentasche. Es lässt uns in Gedanken auf Reisen gehen.

Und lädt uns zu neuen Ufern ein, mit brillanten Fotos, inspirierenden Texten und Tipps zu Hotels und Restaurants.

 

Michael Kress, Blicke in den Spiegel. Kurzgeschichten. Im Self-Publishing veröffentlicht über epubli, Berlin, 2020

 

Gewiss kann man sich drüber beklagen, dass Verlage um Kurzgeschichten zumeist einen Bogen schlagen. Besser aber, man nimmt die Sache selbst in die Hand.

Für diesen Band mit 25 Kurzgeschichten hat der Autor hinein ins pralle Menschenleben gegriffen. Sodass wir uns darin gespiegelt erkennen, gerade weil sie einfühlsam unseren Alltag skizzieren, ohne "alltäglich" zu sein.

So wird die Lektüre zum Fest, auch dank der gelungenen Illustrationen des Nürnberger Künstlers Walter Mattischeck.

   

Greta R. Kuhn, Saarperlen. Saarland-Krimi. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2019

 

Die junge Kriminalhauptkommissarin Veronika Hart hat es in ihrem ersten großen Fall mit einer widerlichen Mordserie im idyllischen Perl zu tun, mit weiblichen Opfern, deren Körperfülle Rätsel aufgibt. Erste Ermittlungen stocken, geraten bald unter Zeitdruck - da bleibt kein Raum mehr für saarvoir-vivre.

In diesem großartigen Krimi mit Thriller-Elementen geht es um mehr als nur um Wer ist der Täter?. Die Autorin zeichnet ein messerscharfes Psychogramm auch der Täter sowie der vermeintlichen Dorfidylle. Grandios ausrecherchiert, sprachlich brillant, knapp und eindringlich, aber mit viel Einfühlungsvermögen. Spitze!

 

Jens Mühling, Berlin. Spaziergänge durch alle 96 Ortsteile. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 2019

 

Das Berlin der Touristen? Museumsinsel in Mitte, Shoppen auf dem Kurfürstendamm, abends Kreuzberg. Auch viele Berliner kennen nur ihren Kiez. Berlin aber ist größer und überaus vielfältig.

Der Autor hat genau nachgezählt und ist in alle 96 Ortsteile gefahren, von Adlershof bis Zehlendorf. Herausgekommen ist ein subjektives, inspirierendes Panorama der vielen, ja unzählig vielen "Berlins", das (nicht zuletzt auch den Berliner selbst) dazu einlädt, übers Kiez hinaus zu blicken.

 

Regine Bott, Kern der Angst. Kriminalroman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2019

 

Ausgerechnet im idyllischen Schönbuch (südlich von Stuttgart) hat sich ein krimineller Pharma-Konzern eingenistet. Er testet an entführten Versuchspersonen ein Medikament zur Manipulation des Gehirns, das Angst stillen soll, tatsächlich jedoch lebensgefährlich ist. Kann Kommissar Erik Deckert der Truppe das Handwerk legen?

In dem virtuos komponierten Kriminalroman hält die Autorin den Leser bis zur letzten Seite in Atem. Rastlose Hektik wechselt sich ab mit Szenen, in welchen die Handlung beinahe eingefroren scheint. Die kraftvolle, bilderreiche Sprache und so manch geschickt eingeflochtenes Bildungsgut machen ihren Roman darüber hinaus zu einem anregenden und hintergründigen Lesevergnügen.

   

Joachim Steidel, Silbergrau mit Wellengang. Eine High on Life Geschichte. Mönnig-Verlag, Iserlohn, 2019

 

Die Praxis für Geriatrie ist verkauft, das Cottage in Irland erstanden - Alexander scheint einem geruhsamen Ruhestand entgegenzusehen. Bleibt nur eine Fahrt nach Portugal zur Beerdigung seines früheren Praxis-Sozius. Alexander reist zusammen mit einer Rentner-Aussteigertruppe gen Süden. Dort aber bleibt nichts, wie es war.

Der fulminante, an manchen Stellen vielleicht etwas überdrehte Plot greift "on the road" ins zwar faltig gewordene, aber noch pralle Pensionistenleben. Und zeigt uns wohltuend knapp, auf lediglich 150 Seiten, dass es für "Unverhofft" nie zu spät ist. Denn besser spät als nie.

 

Bernhard Hampp, Bayern erlesen! Für Literaturfreunde und Bibliophile. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2018

 

Wer eine bestimmte Gegend literarisch bereisen und erkunden will, muss sich das nötige Wissen oft mühsam aus vielen Quellen zusammensuchen. Es sei denn, er hat einen Band wie diesen zur Hand.

Mit überaus inspirierenden Texten und Fotos macht uns der Autor mit den bayerischen Bibliotheken, Literaturhäusern und vielen Autoren-Gedenkstätten vertraut, nebst Infos wie in einem Reiseführer - ein Vademecum für jeden Bücherwurm. Bliebe bloß zu sagen, dass es im Gmeiner-Verlag und aus der Feder des Verfassers solche Bände auch noch zu Baden und Schwaben gibt.

   

Regina Reichart-Corbach, Unter dem Kreidekreis. Roman. Ruhland Verlag, Bad Soden, 2019

 

Marie Quest, Verfahrensbeiständin im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren und darin die "Anwältin" der Trennungskinder, ist eh schon gefrustet von ihrer Arbeit. Und dann wird auch noch ihr fünfzehnjähriger Sohn Matti entführt! Steckt dahinter etwa ein Elternteil? Will sich wer an ihr rächen?
Die Autorin war selbst jahrelang als Verfahrensbeiständin tätig. Mit viel Empathie und dennoch messerscharf analysiert sie den Reparaturbetrieb Sorgerechtsverfahren, in dem vieles gut gemeint und doch nicht wirklich gut ist. Denn letztlich, so ihr engagiertes und zutreffendes Plädoyer, liegt es an den Eltern, sich über Trennung und Scheidung hinaus ihrer ureigensten Verantwortung zu stellen. Ein auch literarisch gelungener Roman, der dem Leser unter die Haut geht, auch weil er uns zeigt, wer in alledem die wahren Helden sind - die Kinder.

  

Maria Nikolai, Die Schokoladenvilla. Roman. Penguin-Verlag, München, 2018

 

Der Stuttgarter Schokoladenfabrikant Wilhelm Rothmann will seine Tochter Judith mit einem Bankierssohn verheiraten, um sein Unternehmen vor dem drohenden Konkurs zu bewahren. Auch Rothmanns Frau Hélène leidet unter dessen Paternalismus und Gefühlskälte. Doch beide Frauen sind nicht gewillt sich zu fügen.

In ihrem großartigen Roman gelingt der Autorin weitaus mehr als bloß Liebesgeschichte und Familienportrait. Sie zeichnet ein messerscharfes und dennoch subtiles Psychogramm jener Epoche um 1900, die trotz ihrer Zöpfe und Zwänge noch immer als die gute alte Zeit verklärt wird. Besonderes Lob sei ihr gezollt für die gründliche Recherche. 

 

Bettina Storks, Das geheime Lächeln. Roman. Diana Verlag, München, 2018

 

In einem Auktions-Katalog, der ihr zu frischer Inspiration für ihre Arbeit verhelfen soll, entdeckt die Journalistin Emilia Lukin ein Frauenportrait. Das, angeblich vor dem Krieg in Paris gemalt, ihr bestechend ähnlich sieht. Zeigt das Portrait etwa Emilias Großmutter Sophie, die, noch minderjährig, aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Paris geflüchtet ist? Emilia ersteigert das Gemälde und macht sich auf die Suche nach Sophies (und der eigenen) Geschichte. Bald ist nichts mehr wie zuvor. Ist Emilia auf der richtigen Spur? Hat die plötzliche Depression ihrer Mutter mit Sophies Schicksal zu tun? 
In dem virtous komponierten Roman seziert uns die Autorin in kraftvoller, bilderreicher Sprache die zerstörerische Macht von Familiengeheimnissen. Eher üppig denn knapp im Duktus und doch kein Wort zu viel. Großes Kino.

    

Tibor Rode, Das Mona-Lisa-Virus. Thriller. Bastei Lübbe Verlag, Köln, 2016

 

Die Romanidee mutet an wie ein Vabanque-Spiel: Achtmal blind im Lexikon getippt und die hierbei ertippten Stichwörter zu einem Thriller-Plot entwickelt: Mona Lisa, Ästhetik, Boston, Honigbiene, Virus, Warschau, Goldener Schnitt, Brasilien.
Diese scheinbar inkommensurablen Ingredienzien verwebt der Autor zu einem Thriller der Extraklasse. Knisternde Spannung, bereits von der ersten Seite, souveränes Wissen, Empathie und Witz. Chapeau.

 

Kristina Pfister, Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten. Roman. Tropen Verlag, Berlin, 2017

 

Annika zaudert oft, ist auch ein bisserl schüchtern und hangelt sich nach ihrem Studium von Praktikum zu Praktikum. Bis sie der burschikosen Marie-Louise begegnet, die alle kategorischen Imperative strebsamer Redlichkeit in den Wind schlägt. Annika lässt sich anstecken. Doch trägt das Fundament?
Es griffe zu kurz, diesen sprachgewaltigen und erfreulich knappen Roman als Buch über die "Generation Praktikum" zu bezeichnen. Mit messerscharfem Verstand analysiert die Autorin die Nöte der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen, für die das verheißene Alles ist möglich zum Whatever wird, weil ihnen die Möglichkeiten über den Kopf wachsen. Ein einfühlsames Buch, das mich sehr berührt hat.

 

Hermien Stellmacher/Joachim Schultz, Wie wir Katzen die Welt sehen. Ein Ratgeber für meine liebsten Zweibeiner. Insel Verlag, Berlin, 2017

 

Der Zweibeiner zur Katze: Ich versteh dich einfach nicht. Die Katze zum Zweibeiner: Ich dich auch nicht.
Drum lest dieses Buch: Nach Stichpunkten (etwa Kratzen, Katerstrophe und Katzenklo) geordnet wie in einem Lexikon, wird Vier- wie Zweibeinern gleichermaßen der Spiegel vorgehalten. Trotz des Untertitels hüte Zweibeiner sich davor, in diesem Werk eine Fibel zur sachgerechten Katzenhaltung sehen zu wollen. Solche Bücher gelten hier nämlich als Zweibeiners Märchenbücher, mit so unersprießlichen Rubriken wie Diät, Tierarzt und Saubermachen. Köstlich!

 

Titus Müller, Einfach mal spazieren gehen. Arche Literatur Verlag, Zürich, 2019

 

Hast und Umtriebigkeit dominieren unseren Alltag; wer wollte diesem Hamsterrad nicht ab und zu entrinnen?
Der Autor lehrt uns, neben wohl temperiertem Abschalten des Smartphones, vor allem die Kunst der Entschleunigung. Indessen predigt er kein Zurück zur Natur; er spaziert auch durch die Städte und wandelt auf den Spuren der großen Berliner Flaneure Franz Hessel und Walter Benjamin. Herausgekommen ist ein inspirierendes und eher knappes Buch, welches unser Urlaubsgepäck nicht belastet, und lädt uns auf Schritt und Tritt zur Nachahmung ein.

  

Ursula Schmid-Spreer, Geständnis mit Folgen. Kriminalroman. adakia Verlag, Leipzig, 2019

 

Mord in der Turnhalle eines Nürnberger Gymnasiums, an einem unter den Schülern recht verrufenen Mathe- und Sportlehrer! Rasch gibt es Verdächtige zu Hauf, und Kommissarin Belu Nürnberger stochert lange im Nebel.

Ein lesenswerter und durch das Milieu "Schule" sehr facettenreicher Krimi, der zudem das finstere Thema „Häusliche Gewalt“ beleuchtet.

 

LeeZa Nail, The Singer's Coach. Der Karriere-Ratgeber. Alles, was ambitionierte Sänger*innen wissen sollten. Alfred Music Publishing, 2019

 

Singen beginnt mit dem Violinschlüssel und hört mit der letzten Note auf? Weit gefehlt. Jeder Gesang steht und fällt mit Körperpräsenz und Atmung, mit dem Warm-Up, sprich Bauch, Beine, Po für die StimmeAuch die Präsenz auf den Bühnen muss man sich erst erobern.
Dieses Buch ist kein Frontal-Lehrbuch, sondern ein Workshop, der zum Mittun einlädt. Es bleibt dank des Großformats auf dem Tisch stets aufgeschlagen und bietet neben dem erforderlichen musikalischen Wissen auch reichlich zu Präsenz und Stimme, zum Üben, zum Lampenfieber, zu Image, Management, Akquise und Networking. Es hat damit auch Autoren, Schauspielern und Dozenten etwas zu bieten, also allen, die mit und durch ihre Stimme wirken und arbeiten. Anekdötchen und inspirierende Interviews mit namhaften Musikern runden dies rundum gelungene Vademecum ab.

 

Roma Agrawal, Die geheime Welt der Bauwerke. Aus dem Englischen von Ursula Held. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, 2019

 

Statik wirkt stets im Geheimen - denn wer denkt auf einer Brücke schon an deren festen Stand? Desto mehr gerät unsere Statik ins Schwanken, wenn, wie kürzlich in Genua, ein solches Bauwerk einstürzt.

Die Autorin, eine namhafte Architektin und Erbauerin des Wolkenkratzers The Shard in London, erzählt die Geschichte der Statik, der Kunst des sicheren Standes. Angefangen bei den alten Römern - die, wer hätte es gewusst, bereits den Beton erfunden haben - bis in unsere Zeit. Ein großartiges, inspirierendes Buch, bei dem leider die Druckqualität der Fotos etwas nach unten absticht.

 

Edwin Ernst Weber (Hrsg.), Literatur in Oberschwaben seit 1945, Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2017

 

Auch in Oberschwaben galt der Prophet zu Hause lange nicht viel, zumal die dominante katholische Kirche ihren eigenen Propheten huldigte und moderner Literatur nicht eben förderlich war. Heute aber hat sich zwischen Ulm, Schwarzwald und Bodensee eine sehr vielfältige Literaturszene entwickelt, die zum Beispiel beim 63-er Treffen der Gruppe 47 in Saulgau auch über die Region hinaus webte und wirkte.
Der Gmeiner-Verlag in Meßkirch, selbst ein literarisches Aushängeschild der Region, hat diesen instruktiven und zudem hochwertig illustrierten Band herausgebracht, der über die Autoren der Region erschöpfend Auskunft gibt.

  

Brigitte Lamberts, El Gustario de Mallorca und der tödliche Schatten. Kriminalroman. edition oberkassel, Düsseldorf, 2019

Journalist und Feinschmecker Sven Ruge braucht dringend Aufträge; da kommt ihm ein Restaurant-Wettbewerb auf Mallorca wie gerufen, zumal auch sein Freund Manuel dran teilnimmt. Dann aber widerfahren Manuel unerklärliche Dinge. Sven will Manuel helfen und gerät in eine bis Francos Machtergreifung zurückgehende Familienfehde, ein Kampf aufs Messer, um Macht und um Geld.

Der virtuos komponierte Krimi bietet alles, was Krimis spannend macht: List und Tücke, Verrat, Entführung und rauchende Colts. So gut austariert, dass die Spannung über den ganzen Krimi ansteigt, bis zum Showdown, alles geschickt eingebettet in die spanische Geschichte seit Franco. Dazwischen zum Ausruhen Mallorquiner Kulinarik mit Rezepten im Anhang. Klasse!

 

Karl Schlögel, Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt. Verlag C.H.Beck, München, 3. Aufl. 2018

 

Schon der Untertitel macht einen nachdenklich: Ist die UdSSR nur noch ein Gegenstand der Archäologie? Lebt sie nicht vielmehr fort, zumal in Präsident Putin, der ja bereits im KGB Karriere gemacht hat? Hat sie uns auch heute noch etwas zu sagen?
Will man sich solchen Fragen annähern, kommt man um dieses Werk nicht herum. Karl Schlögel, emeritierter Professor der Viadrina Frankfurt/Oder und Autor weiterer Bücher zur Geschichte Osteuropas, hat hiermit ein Buch vorgelegt, das nicht nur all diese Fragen beantwortet, sondern auch virtuos erzählt, bis hinunter in die Niederungen öffentlicher Bedürfnisanstalten. Für den Einsteiger ziemlich opulent. Wer sich hierauf einlässt, wird die Lektüre jedoch nicht bereuen.

 

Martin Meyer, My Selfie. Tagebuch eines Autors. Stolz-Verlag, Stegaurach, 2018

 

Seit einiger Zeit führe ich ein Autoren-Tagebuch, in das ich markante Ereignisse und vor allem meine Erfolge eintrage. Ich kann es nur wärmstens empfehlen. Denn meist bleiben allein das Mühselige und Beladene oder auch Autoren-Frust in Erinnerung. Daher tut es gut, hin und wieder in seinen Erfolgen zu blättern.

Wichtig ist dabei, dass man auch das scheinbar Winzige wertschätzt und einträgt; selbst dies wird später ein Steinchen im Erfolgsmosaik sein.

  

Stefanie Hohn, Die Magie der Farben. Roman. Verlag Tinte & Feder, 2018

 

Paul Tissu (schon der geniale Name spricht Bände) lebt allein im Konjunktiv. Der Eltern halber ist Tissu ein Stoffhändler geworden. Die große Liebe seines Lebens durfte er nicht leben, seine großen Neigungen als Künstler begrub er wie seine Bilder. Bis eine zunächst schmerzhafte und dann befreiende Begegnung die Fesseln des Konjunktivs löst.
Das ist kein Liebesroman, das ist ein Hohelied der Liebe, und gleichermaßen der Kunst. Kaum je habe ich etwas Zärtlicheres, Berührenderes, Einfühlsameres gelesen als dieses Buch, das einen großen Publikumsverlag mehr als verdient hätte.

  

Johann Hinrich Claussen, Gottes Klänge. Eine Geschichte der Kirchenmusik. Verlag C.H.Beck, München, 2. Aufl. 2015

 

Bücher zur Geschichte der Kirchenmusik gibt es bereits einige, doch sind sie zumeist aus musikwissenschaftlicher Warte verfasst. Das hier vorliegende ist dagegen das Werk eines Theologen; der Autor ist Hauptpastor und Probst in Hamburg. Sein Augenmerk gilt der Musik als Inbegriff und Ausdruck des Glaubens. Der wiederum so vielgestaltig webt und wirkt wie der gläubige, sich in der Musik ausdrückende Mensch.
Das Werk ist nicht buchhalterisch; es beschränkt sich auf nur wenige zentrale Werke der Kirchenmusik, über deren Auswahl man streiten kann. Allzu kurz kommt etwa die Musik des 20. Jahrhunderts; ein Mangel, der durch das Kapitel über Spiritual und Gospel nicht aufgewogen wird. Dennoch ein lesenswertes Werk.

 

Alexa Hennig von Lange, Kampfsterne. Roman. DuMont Buchverlag, Köln, 2. Aufl. 2018

 

Stadtrand, Einfamilienhäuser, solider Wohlstand. Gesättigt von gutem Karma und Keith Jarrett. In den Häusern aber viel Lieblosigkeit, übersteigerter Perfektionismus, Verdruss über sich selbst. Kein Erwachsener ist mit sich im Reinen, und das merken bald auch die Kinder.

In stark verdichteter, sehr bilderreicher Sprache zeichnet die Autorin ein Psychogramm, das dem Leser tief unter die Haut geht. Das Setting in den Achtziger Jahren wirft hierbei die Frage auf, was die Autorin in ihrer Kindheit selbst erlebt und dann darunter gelitten hat, obschon sie in ihrem Vorspruch eigene Erfahrungen fehlender Liebe und Empathie verneint. Längst haben die Kinder von damals selbst Kinder oder sogar Enkel. Was ist zu tun, damit die Wunden sich nicht vererben?

Allein deshalb tut dieser engagierte Roman auch heute noch not. 

   

Ingrid J. Poljak, Diabellis Inferno. Psychothriller. Im Self-Publishing über tredition, Hamburg, 2018

 

Oberinspektor Behringer, beinahe schon im Austrag in Graz, wildert in Wien in fremden Zuständigkeiten. Im Fadenkreuz ist Luc Diabelli, ein Protagonist in einem Cold Case, der Behringer nicht ruhen lässt. Doch auch Diabelli ist ein Getriebener, und schon bald geht es um Leben und Tod. Ein Grauen, das sich immer weiter steigert, bis zum Showdown in der Wiener Karlskirche.
Der knochentrocken, jedoch mit einer tüchtigen Prise Wiener Humors erzählte Thriller ist auch deswegen lesenswert, weil er den Blick auf die Opfer von Gewalt in Klöstern und anderen kirchlichen Einrichtungen lenkt. Aktualität pur.

      

Nick Thorpe, Die Donau. Eine Reise gegen den Strom. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay Verlag, Wien, 2017

 

Der Titel des Buches verrät es bereits: Thorpe beginnt seine Erzählung bei der Mündung der Donau ins Schwarze Meer und folgt ihr zurück zu Brigach und Breg.

Der Autor ist Korrespondent der BBC für Mitteleuropa. Wohnt in Budapest und verhehlt nicht (zeigt es eher ein paarmal zu oft), dass sein Interesse den Sphären und Geschichten des Donau-Ostens gilt. Der deutsche und österreichische Abschnitt der Donau wird kurz beschrieben, zuweilen leider auch ein wenig lieblos. Dennoch ist das Buch zu empfehlen, weil es den Blick des Lesers in Regionen weitet, welche, oft ebenso lieblos, in die Rubrik Balkan eingeordnet werden.

 

Eva Gesine Baur, Freuds Wien. Eine Spurensuche. Verlag C.H.Beck, München, 2008

 

Sigmund Freuds Urteil über Wien? "Die Stadt Wien hat alles, was in ihrer Macht lag, getan, um keinerlei Anteil an der Entwicklung der Psychoanalyse zu nehmen."
Freud ist daran nicht ganz unschuldig, mied er doch eher jene Orte, an denen Wien am meisten Wien ist; namentlich die Kaffeehäuser, von denen er allein das Central und das Landtmann besuchte, und auch das nur gelegentlich. Die Feldforschung gerät in der Tat zur Spurensuche, und dabei hilft dieses anregend geschriebene Buch, in dem allerdings auch so einige Schludrigkeiten (Traffik mit zwei "ff") unangenehm auffallen. Auf die sich Freud gewiss seinen eigenen Reim gemacht hätte.

   

Manfred Flügge, Stadt ohne Seele. Wien 1938. Aufbau Verlag, Berlin, 2018

 

Ein Frühling vor der Zeit, bereits Anfang März blühte der erste Flieder, doch dann wurde es kalt.
Das Werk beschönigt nichts; in eindringlichen Worten beschreibt der Autor die Invasion Hitlers und deren verheerende Folgen für diese Stadt - die zuvor, in Kunst und Literatur, in Architektur und Philosophie, über zwei Generationen zum Laboratorium der Moderne geworden war.

Auch setzt das Buch weit vor März 1938 an, bezieht es doch die Geschichte und Konflikte der Ersten Republik mit ein. Ein bedrückendes und vor dem Hintergrund der Gegenwart leider brandaktuelles Buch, das hiermit jedem ans Herz gelegt sei.

 

Robert Seethaler, Der Trafikant. Roman. Kein & Aber Verlag, Zürich, 28. Aufl. 2018

 

Österreich, im Sommer 1937. Der sechzehnjährige Franz Huchel wird von seiner Mutter zum Geldverdienen nach Wien geschickt. Er verdingt sich dort bei dem Trafikanten Otto Trsnjek. Plötzlich verliebt sich Franz im Prater in Anezka, eine Liebe, mit welcher der in der Geborgenheit des Salzkammerguts Aufgewachsene überfordert ist und bald Sigmund Freud, der in der Trafik seine Zeitungen und Zigarren kauft, um Rat bittet. Dann jedoch marschiert Hitler in Wien ein ...
Eine sehr zu Herzen gehende und virtuos erzählte Geschichte, die durch die Diskrepanz zwischen dem kriegsversehrten Trafikanten, dem kindlichen Franz und dem "verehrten Herrn Professor" eine besondere Tiefe erfährt.

       

Bernd Brunner, Nach Amerika. Die Geschichte der deutschen Auswanderung. Verlag C.H.Beck, München, 2. Aufl. 2017

 

Schätzungen gemäß haben etwa 15 Prozent der US-Bevölkerung deutsche Vorfahren; bis ins 20. Jahrhundert gab es Orte, vor allem in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, in denen Deutsch die Verkehrssprache war. Der Kriegseintritt der USA 1917 jedoch drängte das Deutsche unwiderruflich in die Defensive.
Kundig berichtet uns der Verfasser von Goldgräbern und Rückkehrern, von Erfolg und Scheitern. Und wer selbst Familienforschung betreibt, findet in dem gut lesbaren Band wertvolle Tipps, auch zur Recherche im Internet. Portraits namhafter Auswanderer, wie etwa Carl Schurz oder Levi Strauss, runden das Buch ab.

 

Julian Barnes, Der Lärm der Zeit. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Gertraude Krueger. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1. Aufl. 2017

 

Unter den Narben Dmitri Schostakowitschs stechen diese hervor: Stalins Ächtung seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk, die zweite Ächtung seiner Musik durch den Funktionär Schdanow und die mit Willfährigkeit erkaufte Rehabilitation durch Stalin, dazu der ihm von Chruschtschow abgenötigte Eintritt in die KPdSU.

Ausgehend von diesen Wegmarken gelingt dem Autor auf knapp 250 Seiten eine subtile Biographie dieses so zart besaiteten Komponisten. Er erzählt von einem Leben zwischen Opposition und Opportunismus, Gehorsam und Genialität. Zugleich ein messerscharfes Psychogramm der Sowjetunion.

      

Moa Graven, Düsterland. Kriminalroman. In Eigenregie veröffentlicht im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland, 2018

 

Die Entführung ihres Sohnes Philipp trifft die sehr erfolgreiche Anwältin Paula Fenders so schwer, dass sie abtaucht und im Netz anonym Rechtsberatung betreibt. So ist sie tief berührt, als sie die Mail einer Mutter erhält, deren Sohn Noah nicht von der Schule nach Hause gekommen ist. So getroffen ist Paula, dass sie sich hierbei zu einer Unüberlegtheit hinreißen lässt.

Im Fall Noah stochert Kommissar Erik Frahn zunächst im Nebel. Bis Paula, die ihn von früher kennt (und eigentlich immer noch liebt), sich ihm offenbart.

Der fesselnde und bündig knappe Krimi lässt den Leser genüsslich rätseln, bis zu seinem ziemlich überraschenden Schluss. Und ist zugleich eine einfühlsame Erzählung über das heikle Thema Kindesentführung.

 

Franca Steffen, Paradise Landing. Thriller. In Eigenregie veröffentlicht über Book on Demand (BoD), Norderstedt, 2018

 

Wunden heilen. Was aber, wenn die Wunden in die Haut geritzte Botschaften sind? Und darüber hinaus alle orientierende Erinnerung aussetzt, man also seiner Identität beraubt worden ist?

In dieser hilflosen Situation wird die traumatisierte Eclipse auf einem Boot aufgefunden, auf einem See in den Weiten Amerikas. Nicht mal ein Namen ist ihr geblieben - Nick, ihr Retter, gibt ihr den Namen: Mondfinsternis. Im Krankenhaus lernt sie die schwerkranke Isabella kennen. Mit beiden macht sich Eclipse auf den Weg zurück ins Leben.

Gut, dass die Autorin einen Thriller aus diesem Stoff geschrieben hat. Messerscharf, aber sehr einfühlsam erzählt sie Eclipses Geschichte, von ihrem Ringen ums Verschüttete und von der Kraft der Liebe. Großes Kino. 

 

 

Ilona Stölken, Das deutsche New York. Lehmstedt Verlag, Leipzig, 2013

 

Geschätzt ein Sechstel der heutigen Einwohner der Vereinigten Staaten haben deutsche Vorfahren - und im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde New York zum wichtigsten Hafen der Einwanderung.
Sehr einfühlsam erzählt uns die Autorin von Überfahrt und Ellis Island, vom Ankommen und Heimischwerden, von Goldgräbern und Heimweh. Jedoch nimmt sie nicht nur die Orte deutscher Communities in den Blick, Kleindeutschland, Ridgewood und Yorkville, sondern weitet, auch dank einer instruktiven Bebilderung, ihren Blick zu einer deutsch-amerikanischen Kulturgeschichte, deren Spuren, trotz zweier Weltkriege, noch heute zu finden sind.

 

Barbara Steuten, Kati Küppers und der gefallene Kaplan. Kriminalroman. edition oberkassel, Düsseldorf, 2016

 

Kaplan Markus Overath stürzt auf der Kirchenkellertreppe zu Tode. Sieht zunächst nach einem tragischen Unfall aus. Doch dann gerät die wahre Seele der Kirche, Küsterin Kati Küppers, unter Verdacht - schlimmer noch: Sie wird vom Amt suspendiert. Bei Gott und den Vierzehn Nothelfern, sie muss den Täter finden, und zwar schnell!

Humorvoll und packend zugleich lässt uns die Autorin bei den Ermittlungen mitfiebern. Ihre sehr genaue Kenntnis des dörflich-kirchlichen Milieus sowie des niederrheinischen Menschenschlags machen diesen Roman unverwechselbar und dessen Lektüre zu einem Hochgenuss. 

 

Brigitte Lamberts, El Gustario de Mallorca und das tödliche Elixier. Kriminalroman. edition oberkassel, Düsseldorf, 2017

 

Schreiben oder Nervenkitzel? Kaum auf Mallorca angelandet, schlittert der Düsseldorfer Gastro-Kritiker Sven Ruge fort von seinem Projekt Restaurant-Führer. Gerät in die Jagd nach dem Patxaran - einem geheimnisumwitterten Anis-Schlehen-Elixier, von dem eine hunderte Jahre alte Flasche auf Mallorca überdauert haben soll. Klar, dass auch andere hinter diesem Fläschchen her sind ...
Der spannende und geradlinige Roman lässt den Leser atemlos umblättern und zugleich genussvoll schwelgen. Stellt er uns doch, zum zwischenzeitlichen Verschnaufen, auch die mallorquinische Küche vor - mit Sachkunde sowie gelegentlichem Augenzwinkern (Ajillo mit Maggi). Sogar einige Rezepte sind mit dabei im Buch. Also unbedingt beides: Lesen und Probieren!

 

Barbara Kraus, Techniken des Orgelübens. Die kürzeste Verbindung zwischen Händen und Füßen ist das Gehör. Medien Kontor Hamburg, 5. Aufl. 2009

 

Welcher übende Organist neigt nicht bisweilen zum Durchspielen, zum stupiden Immer-Wieder-Ganz eines Stückes? Hier setzt die Autorin an; sie schult zum intelligenten Üben, zumal an Fingersätzen (seufz), Pedaltechnik, Feinmotorik, Geläufigkeit und den anderen notorischen Lindenblattstellen. Gehör und Üben gehören für sie untrennbar zusammen. Manches wird auch für den Klavierspieler von Interesse sein, wenngleich die Autorin die Unterschiedlichkeit der beiden Instrumente betont. Ein Vademecum also, das auch und gerade dem nebenamtlichen Organisten ans Herz gelegt sei. Schade nur, dass es mir erst jetzt untergekommen ist.

  

Jens Johler, Die Stimmung der Welt. Roman. Alexander Verlag, Berlin, 4. Aufl. 2016

 

Bücher über Johann Sebastian Bach gibt es viele - warum also noch einen Roman? Weil wir über Bachs Musik viel mehr wissen als über ihn als Menschen. Wie leibte, lebte - und liebte er?
Die Handlung des Romans setzt ein mit der Wanderung des jugendlichen Bach zu Böhm nach Lüneburg und endet mit seiner Berufung zum Thomaskantor. Gleichzeitig erklärt das Werk Bachs Ringen um die Stimmung der Welt, vom Pythagoreischen Komma zum Wohltemperierten Klavier. Der Duktus schwingt im Takt der Zeit, ohne darin des Guten zu viel zu tun. Ein virtuoses Buch, nicht nur für Musikfreunde.

 

Margit Kruse, Eisaugen. Ein Ruhr-Krimi. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 4. Aufl. 2016

 

Ein erfrischend anderer Krimi. Kein smarter KHK, der schon auf Seite 4 mit der jungen Kollegin den ersten Latte trinkt. Sondern Ermittlungen, die nur am Rande durch Polizei getrübt werden. Es ermittelt das Milieu, eine Knappen-Siedlung in Gelsenkirchen, sich seit Jahren belauernd, abgetakelte Hagestolze, lustige Witwen, Kleinbürgertum. Prima inter pares: Margareta Sommerfeld, auch auf der Suche, nach Liebe, nach sicherem Job, nach Leben. Dazu prädestiniert, Licht ins Dunkel zu bringen, nach einem Mord an einer jungen Frau auf dem dortigen Friedhof.
Man lese diesen wunderbaren Krimi nicht nur als Krimi, sondern auch als Hommage an das Ruhrgebiet. Ungeschminkt, mit derben kräftigen Strichen und Details, die einem das Lachen im Halse umdrehen.

 

Diana Hillebrand, Zuhause im Café. Eine koffeinhaltige Reise durch München. Volk Verlag, München, 2017

 

Bücher zu München gibt es viele, auch über seine Kaffeehäuser, aber kaum eines regt die Sinne so intensiv an wie dieses. Die Autorin stellt uns 35 Adressen in ganz München vor, erzählt die Geschichten, der Häuser wie der Inhaber, und blickt auch hinter die Theken - hat sie doch zu jedem Kaffeehaus auch ein typisches Rezept zu bieten. Das große Format kommt den vielen herrlichen Bildern zugute und zeigt, dass sich die Autorin nicht nur an Touristen, sondern auch an alle Münchner(innen) richtet, die Starbucks und Konsorten überdrüssig geworden sind. So ist es kein Nachschlagewerk, sondern ein Buch zum Sich-Daran-Festfreuen.

So nehme man es gern und oft zur Hand und reise wieder mal nach München.

 

Ute Cohen, Satans Spielfeld. Roman. Septime Verlag, Wien, 2017

 

Der Stift des Lesers hält inne: Kann man Schockstarre rezensieren? Aber er kann, und er muss. Marie, zwölf Jahre alt, der Gefühlskälte ihrer Eltern ausgesetzt - ein ideales Opfer: Schwerer sexueller Missbrauch von Minderjährigen, ein abseits gelegenes Dorf. Und vor aller Augen. Die nicht sehen wollen, dass es einer der Honoratioren ist.
Zum Glück versteht es die Autorin, dem Text eine Tiefe zu geben, die ihn nicht zu einem bloß plakativen, also unreflektierten Grauen werden lässt. So ist es ein Buch, das neben der Intensität des Geschehens auch durch die Kraft seiner bilderreichen Sprache besticht und dem Leser zu diesem so heiklen Thema empfohlen sei. Damit wir alle das Schweigen brechen. Ehe es zu spät ist.

 

Conny Schramm, Mein ungebügeltes Leben. Brunnen Verlag, Gießen, 2016

 

Geschichten über die Wende 1989 gibt es viele. Auch solche über die DDR, allerdings oft fokussiert auf bestimmte Biotope (Weißer Hirsch, Dresden) oder (Künstler-)Szenen. Wie aber gestaltete sich DDR-Alltag?
In dieser Autobiographie schildert uns die Autorin ihre Kindheit und Jugend in der DDR sowie die Wende. Zum Glück hat sie davon abgesehen, wie eine Buchhalterin Jahr um Jahr abzuhandeln. Sie beschränkt sich auf zentrale Orte (Schulen), Lebenseinschnitte (Jugendweihe/Konfirmation) und die Zuspitzung um 1989. Die anekdotischen Episoden stehen pars pro toto und machen uns die Autorin lebendig. Nicht DDR-typisch ist dabei die christliche Sozialisation der Autorin. Sie gewährt, sowie er sich darauf einlässt, aber auch dem nicht religiösen Leser wertvolle Einblicke.

 

Brigitte Lamberts/Annette Reiter, Wutentbrannt. Kriminalroman. edition oberkassel, Düsseldorf, 1. Aufl. 2016

 

Ein schillernder Student an der Düsseldorfer Kunstakademie wird tot in einem Hotel am Carlsplatz aufgefunden, obschon er nur wenige hundert Meter entfernt wohnt. Bald gibt es Verdächtige zu Hauf - und Hauptkommissar Clemens von Bühlow hat eine harte Nuss zu knacken.
Knapp und doch sensibel sezieren die Autorinnen Beziehungsgeflechte von Gefühlskälte, Futterneid sowie sexueller Abhängigkeit. Unerbittlich und atemlos im Duktus, ziehen sie den Leser in den Bann, bis zu einem sich dramatisch zuspitzenden Schluss. Dort ist dann alles gesagt, aber kein Wort zu viel. Ein großartiger Krimi.

 

Susanne Rocholl, Zoé & Adil in Love. Jugendroman. Größenwahn Verlag, Frankfurt am Main, 2017 

 

Was macht einen Roman über eine „junge Liebe“ spannend? Dass die beiden Liebenden als „nicht miteinander vereinbar“ erscheinen; sogar so, dass der Leser, gäbe es nicht den Romantitel, anfangs geneigt ist, in Zoé und Adil Protagonist und Antagonist zu verorten. Dabei sind sie, mit ihren je eigenen Wunden, beide „Helden“, also Protagonisten.

Wer ist Antagonist? Keine Romanfigur ist so dominant, dass sie die Rolle allein ausfüllt. Man mag hierin einen Mangel sehen. Es sei denn, man sieht uns alle als Antagonisten – sprich die Gesellschaft, die beide, Zoé und Adil, da aus unterschiedlichen Kulturkreisen, voreilig für „nicht miteinander vereinbar“ hält.

Doch da die Autorin den Leser ausgewogen mit dem Problem Immigration konfrontiert, haftet dem Roman nichts zu Beflissenes, Oberlehrerhaftes an. Er ist eine eindringliche, sehr sensible und spannende Erzählung über dieses brisante Thema und sei dem Leser herzlichst empfohlen.

 

Kirsten Jüngling, Emil Nolde. Die Farben sind meine Noten. Biographie. Propyläen Verlag, Berlin, 2013

 

Vor 150 Jahren wurde Emil Nolde (der Künstlername greift seinen Geburtsort Nolde in Nordschleswig auf) geboren. Mit brennendem Ehrgeiz und großer Ausdauer wächst der gelernte Möbelschnitzer zu einem Künstler heran, dessen Bilder durch ihre Farbenkraft die Betrachter faszinierte.
In ihrer nun auch als Taschenbuch erschienenen Biographie lässt die Autorin mit großer Behutsamkeit Noldes langes Leben Revue passieren, das von Bismarcks Kriegen bis weit in die Gegenwart reichte. Sie erhellt uns, was an seiner Kunst einzigartig war, und spart auch Noldes Haltung zum Nationalsozialismus nicht aus, sein stetes Lavieren zwischen Anpassung und Widerstand. So sei dies bestens recherchierte (und mit weiterführender Literatur versehene) Buch jedem Kunstfreund ans Herz gelegt.

 

Ralf Nestmeyer, Hotelwelten. Luxus, Liftboys, Literaten. Reclam Verlag, Stuttgart, 2015

 

Wer kennt es nicht, dieses wohlige Bauchkribbeln, wenn man nach dem Einchecken zum ersten Mal sein Hotelzimmer betritt? Seit jeher hat dieser Ort mondäner Offenheit und zugleich intimer Diskretion unsre Phantasie beflügelt, und schon mancher Künstler und Autor hat zuletzt gar nicht mehr ausgecheckt.
Der Autor erzählt uns vom Ankommen, Verweilen und Abschiednehmen. Er lädt uns ein in die mondänen Grand-Hotels, spitzt Concierges, Pagen und Liftboys über die goldenen Schulterstücke und macht uns mit den Manschetten Thomas Manns und anderer Hotel-Gäste vertraut. Solcherart inspiriert, wird man sich unversehens in einem der "Häuser allerersten Ranges" (so einst der Baedeker) wiederfinden, und sei es nur für eine einzige Nacht.

 

Gila Lustiger, Die Schuld der anderen. Roman. Berlin Verlag Taschenbuch, Berlin 2016

 

Ein Treffer beim DNA-Abgleich - und schon scheint ein 27 Jahre alter rätselhafter Mord an einer Prostituierten aufgeklärt. Nicht so in den Augen des investigativen Journalisten Marc Rappaport. Er setzt nicht bei dem dadurch gewonnenen Beschuldigten an, sondern dort, wo die Polizei damals aufhörte zu ermitteln. Stößt schnell auf Ungereimtheiten und sieht sich, selbst jüdischer Herkunft, mit bohrenden Fragen nach seiner und der Familie Biographie konfrontiert.

Ein grandioser Roman über den französischen "Filz" - auf den Spuren von Parteiführern, Eliteschulenabsolventen, Lobbyisten und Industriekapitänen, das Schmoren im Saft von Intrigen und Vertuschung. Klipp und klar, aber doch mit dem Maß an Empathie, die uns allen die eigene Schuld erspüren lässt, die Schuld des routinierten Wegschauens und der abgebrühten Gleichgültigkeit.

 

Der kleine Besserwisser. Grundwissen für Gestalter. Herausgegeben von Robert Klanten, Mika Mischler und Silja Bilz. Die Gestalten Verlag, Berlin, Neuauflage 2015

 

Ein Autor schreibt heute nicht nur, sondern er gestaltet auch. Entwirft Flyer und Cover und feilt an seiner Homepage. Da kommt dies Kompendium gerade recht, bietet es doch wertvolle Hilfe bei Farben und Formen, Typographie und Layout - ferner Wissenswertes über Fotografie und Druck sowie Betrieb und Akquise. Wichtige Infos über Rechtsfragen runden diesen Kreativ-Ratgeber ab. Konzentriertes Wissen, das man sich sonst mühsam zusammensuchen muss. So sei dies (leider nicht billige) Buch auch Autoren wärmstens empfohlen.

 

Werner P. Binder, Aysch bringt rote Pfaffenhütlein. Literarische Landschaft zwischen Steigerwald und Frankenhöhe. Bartlmüllner Verlag, Nürnberg, 1. Aufl. 2015

 

Steigerwald und Frankenhöhe sind literarische Diaspora; große Namen sind rar, andere zu Unrecht vergessen. Deswegen hat der Journalist Binder seine Zeitungsfeuilletons über dies Sujet zu einem Buch zusammengefasst.
Er erhellt darin die literarische Szene mehrerer Jahrhunderte und führt so manche Perle zu Tage, wenn auch einiges zu weit hergeholt bedeutungsvoll wirkt. Doch ist dem Autor sehr dafür zu danken, dass er jenen namenlos klugen Literaten ein Gesicht gibt, die mit den Großen der Zunft in Verbindung standen und so zur deutschen Literaturgeschichte beigetragen haben.

        

Claudia Schmid, Die Feuerschreiber. Historischer Roman. Verlag Fontis - Brunnen Basel, 2016

 

Thesenanschlag und Worms kennt man noch - darüber setzt es bei uns zumeist aus. Wie gut, dass es Autorinnen gibt, die uns die gesamte Reformation schildern. Martin Luther und Philipp Melanchthon stehen im Mittelpunkt dieses sehr lesenswerten Romans. Die Autorin hat bestens recherchiert, macht uns die historischen Zusammenhänge lebendig, zeichnet aber mit viel Liebe auch fiktionale Nebenfiguren, etwa Melanchthons Begleiter Jörg. Der Duktus atmet stilvoll das Deutsch der damaligen Zeit, doch ist der Text gut zu lesen; nichts wirkt mariniert. Die Handlung des Romans reicht vom Thesenanschlag bis zum Augsburger Reichstag 1530 mit der Confessio Augustana. Ein Werk also, das jeden Leser bereichern wird, weit über die trockenen Fakten hinaus.

 

Michael Wersin, Bach hören. Eine Anleitung. Reclam-Taschenbuch-Verlag, Stuttgart, 2015

 

Bach-Biographien gibt es zu Hauf, doch viele schrecken allein schon durch die Zahl der Seiten ab. Dieser eher schmale Band eignet sich hingegen bestens für einen Einstieg. Der Autor lädt den Leser ein, sich hörend anzunähern. Für jede von Bach gepflegte Gattung der Musik bietet er ein eigenes Kapitel, schult darin das Hören und Verstehen und streut alles Biographische so geschickt mit ein, dass der Leser auch über das Leben des großen Thomaskantors unterrichtet wird. So kann das Buch nur jedem Musikfreund wärmstens empfohlen werden.

 

Michaela Karl. Liesl Karlstadt. Gesichter einer Frau und Künstlerin. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2011

 

Selbst progressive, als Speerspitzen gegen "alte Zöpfe" angesehene Bewunderer von Karl Valentin, etwa Kurt Tucholksy und Bertolt Brecht, sahen in Liesl Karlstadt nur seine ihm zuarbeitende Partnerin. Dabei passt auf beider Verhältnis viel eher Valentins Freudscher Verdreher "Ich bin auf Sie angewiesen, aber Sie nicht auf mich". Ohne dass sich Valentin das ehrlich einzugestehen vermochte.

Einfühlsam zeichnet uns die Autorin das Bild einer lebensklugen und tapferen Frau, die schließlich an Valentins Misstrauen und Sturheit krank wurde und erst in der Distanz zu ihm zurück ins Leben fand.

 

Bruno Woda, Unschuldig? Roman. edition oberkassel, Düsseldorf, 1. Aufl. 2016

 

Mark verbüßt eine Haftstrafe von sieben Jahren - schwere Vergewaltigung. Keiner seiner Freunde hat ihn in der JVA besucht, doch ihnen schlägt das Gewissen. Helen macht den Anfang, und danach betreibt die Clique die Wiederaufnahme des Verfahrens, um Marks Unschuld zu erweisen. Doch das hat es in sich.

Nicht die Aufdeckung eines Verbrechens steht in dem Roman im Vordergrund, sondern dessen Dekonstruktion. Was freilich bleibt, sind Narben - fremder Sühne, eigener Schuld und Gleichgültigkeit. Nur eines überdauert, die Liebe. Die, ohne Scheu gelebt, gerade in solcher Gemengelage heilsam sein kann.

 

Rupert Schöttle, Hier klingt Wien. Die musikalische Seite der Donau-Metropole. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 1. Aufl. 2016

 

Wien und die Musik ist weit mehr als Johann Strauß, Staatsoper und Musikvereins-Saal, vor allem dann, wenn man die Kirchenmusik sowie Jazz, Pop und Weltmusik mit in den Blick nimmt.

Mit umfassender Sachkenntnis stellt uns der Autor die Stätten der Musikstadt Wien vor. Er lädt uns dabei ein, Blicke hinter die Kulissen zu werfen, und würzt den Text auch mit Anekdoten, etwa zu Arnold Schönbergs "Triskaidekaphobie" (der Angst vor der Zahl 13). So sei dieses Buch nicht nur Touristen, sondern auch dem gebürtigen Wiener ans Herz gelegt.

 

Monika Dimpfl, Karl Valentin. Biografie. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2007

 

Karl Valentins Leben ist umwabert von Legenden, Anekdoten und gar geschickt lancierten Halbwahrheiten. Da tat ein Quäntchen Nüchternheit not.

Mit klarem Blick auf die Fakten schneidet die Autorin nicht nur die üblen Schlingpflanzen ab, sondern zeigt auch mit viel Empathie, was an Valentin so einzigartig war. Der vor jeder Lampe gefiebert hat und sich keinen Text hat merken können. Und dessen unsterblicher Buchbinder Wanninger die Schrecknisse der heutigen Hotlines und Callcenter so treffend vorweggenommen hat.

 

Carmen Mayer, Das Awaren-Amulett. Historischer Roman. edition oberkassel, Düsseldorf, 1. Aufl. 2016

 

Vorderösterreich, um 1625. Baierische Soldaten drangsalieren protestantisch gewordene Einwohner. Bei einem dieser Übergriffe verliert der junge Johannes Haus und Hof; seine Eltern werden getötet, die Schwester verschleppt. Bloß ein Schmuckstück seiner Mutter, das Awaren-Amulett, ist ihm geblieben. Bis ihm auch das auf seiner langen, gefährlichen Flucht gestohlen wird. Würde es ihm vergönnt sein, seine Schwester wiederzusehen und das Amulett aufzufinden?

Mit Sachkenntnis und Wärme erzählt die Autorin von den Verheerungen eines Krieges, der uns bis heute in den Gliedern steckt. Sie lässt hierbei Wissen ihrer eigenen Vorfahren einfließen, die damals auch aus Österreich geflüchtet sind.

 

Gerd Struwe und Isa Schikorsky, Waage Kippe Bunker. Rübenverladung Wolsdorf. Erschienen bei Book on Demand (BoD), Norderstedt, 2017

 

Ob um Helmstedt, im Gäuboden oder im Gollachgau, in allen Regionen mit fruchtbarer Schwarzerde herrschte früher während der Kampagne, der Zuckerrüben-Ernte, auf den meist kleinen Bahnhöfen emsiges Treiben. Rüben wurden abgeladen, gewogen, gelagert und per Bahn zu den Zuckerfabriken gebracht.

In stimmungsvollen Fotos und Texten berichten die beiden Autoren von der harten und gefährlichen Arbeit. Und sie erzählen dabei ein liebenswertes Stück Kulturgeschichte, die wehmütige Erinnerungen weckt. Denn die Ladeanlagen sind vielerorts noch vorhanden, obwohl die letzte Fuhre dreißig oder gar vierzig Jahre zurückliegt.

 

Stefan Zweigs "Schachnovelle"

 

Vor jetzt 75 Jahren nahm sich der an der Welt verzweifelte Autor Stefan Zweig in seinem Exil in Brasilien das Leben.
Sein Meisterstück war die "Schachnovelle" - seine Erzählung über einen von der Gestapo verhafteten österreichischen Dissidenten. Nichts außer einem Buch über das Schachspiel war ihm verblieben, und es rettete ihm das Leben. Er erlernte dies Spiel, im Kampf gegen sich selbst, denn gegen wen sonst als gegen sich selbst hätte er in der Haft spielen sollen? Bis er ob dieses Wahnsinns wahnsinnig war - und aus eben diesem Grunde aus der Haft entlassen wurde.

Beklemmend, noch heute, und uns Mahnung genug.

 

Dan Kieran, Slow Travel. Die Kunst des Reisens. Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Wilhelm Heyne Verlag, München, 3. Aufl. 2014

 

Reisen bildet. Heißt es zumindest. Indes, reisen wir auch bewusst, statt nur Kilometer zu fressen und uns von anderen lenken zu lassen?

Der Autor lädt uns ein, bewusster zu reisen. Der Hast zu entsagen - und offen zu sein für das Beiläufige, Unverhoffte. Nur diese Muße gibt unseren Hoffnungen auf ein bildendes Reisen jenen Freiraum, den es so dringend benötigt. Ein inspirierendes Buch, für dessen nicht übersetzten Titel sich jedoch auch ein treffender deutscher Ausdruck hätte finden lassen.

 

Turit Fröbe, Die Kunst der Bausünde. Quadriga Verlag, Berlin, 2013

 

Ob Bierpinsel (Berlin) oder Elefantenklo (Gießen) - Bausünden, wohin man auch blickt. Doch lohnt es sich genau hinzuschauen. Denn gewisse Bausünden sind so originell, dass sie zu Stilikonen geworden sind, etwa für die Zeit der allzu überhasteten Beseitigung der Kriegsschäden sowie der auto- und konsumentengerechten Stadt. So unterscheidet die Autorin zwischen guten und schlechten Bausünden und knöpft sich neben den so gerne bekrittelten öffentlichen Gebäuden auch entgleiste Ladenzeilen und Doppelhaushälften vor. Ein konstruktives, im besten Sinne anstößiges Buch.

 

Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie. Verlag C.H.Beck, München, 3. Aufl. 2014

 

Um Luthers Leben rankt sich ein Kranz an Legenden, besonders zu seinem Auftritt beim Reichstag zu Worms. Daher tat es dringend not, Schlingpflanzen zu kappen, die Patina früherer Luthergedenken zu durchleuchten.

In dieser umfassenden Biographie nimmt sich der Autor nicht nur des Theologen Luther an, sondern stellt den Reformator in seine Zeit, eine Zeit weltgeschichtlicher Umbrüche. Er schreibt also deutlich über den Tellerrand des schon damals provinziellen Wittenberg hinaus und zeigt auch, wie deutsch Luther war und blieb, als sich die weite Welt um ihn herum veränderte.

 

Gudrun Maria Krickl, Die Töchter von Rosengarten. Historischer Roman. Silberburg-Verlag, Tübingen, 1. Aufl. 2016

 

Winterkönig, Wallenstein, Westfälischer Frieden - sehr viel mehr ist uns meist über den so verheerenden Dreißigjährigen Krieg nicht mehr geläufig. Da kommt dies Buch gerade recht.

Württemberg im Fokus, erzählt uns die Autorin von der Geschichte dieses Krieges ab der Niederlage der Schweden bei Nördlingen 1634. Damit uns dies nicht zu hochgelahrt und trocken daherkommt, ist eine bezaubernde Liebesgeschichte inbegriffen, rund um zwei mutige und tapfere Frauen, die Töchter von Rosengarten. Sie passt dabei so gut in den geschichtlichen Kontext, dass sie nicht angestöpselt wirkt. So sei dieses gut recherchierte Buch allen geschichtlich interessierten Lesern ans Herz gelegt.

 

Dr. Thomas Pfeifer, Treffen sich zwei Knochen. Fit und gelenkig bis ins hohe Alter. Unter Mitarbeit von Claudia Stursberg, Westend Verlag, Frankfurt am Main, 3. Aufl. 2016

 

Die Schultern zwicken, die Hüfte zwackt, und viele haben Rücken - unser Gestell hat so seine Lindenblattstellen. Da bleibt für viele nur der Griff zur Schmerztablette, trotz aller negativen Folgen.

Hier setzt dies Buch an. Es erklärt zunächst Gelenk für Gelenk und legt die Herkunft der Schmerzen bloß. Allein wer begreift, was da zwickt, setzt an der richtigen Stelle dagegen an. Ohne erhobenen Zeigefinger und mit viel Humor aktivieren die beiden Autor(inn)en den Ehrgeiz, dem alten Schweinehund ein Schnippchen zu schlagen und Schmerzen mit Bewegung zu begegnen, passgenau, Gelenk um Gelenk, Knorpel um Knorpel. Das Buch verhält sich ferner zu Diagnose, Medikamenten und Operation. Jedem Knochen daher wärmstens zu empfehlen!

 

Frank Berzbach, Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Anregung zu Achtsamkeit. verlag hermann schmidt, Mainz, 7. Aufl. 2015

 

Künstler sind immer im Dienst, ohne Stechuhr und immer hart auf hart. Doch wehe, die Akkus sind leer ...

Auf diesem schmalen Grat zwischen Geistesblitz und ausgebrannt tut Innehalten oft not, führt aber leicht zu Gewissensbissen. Dabei kann achtsame oder auch spirituelle Einkehr die Sinne schärfen, Kraftquelle sein für den nächsten, oft noch ängstlich hintangestellten Schritt. Auf diesem Wege möchte uns der Autor begleiten, und er tut das mit anregender Behutsamkeit. Ein inspirierendes, wenn auch nicht billiges Buch.

 

Wolfgang Herles, Die Dirigentin. Roman. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2012

 

Minister und Opernfreund Stein wird von Bundeskanzlerin Böckler geschasst und kriegt von ihr zum Abschied einen Taktstock geschenkt, für 63,50 €, wie es das auf der Hülse verbliebene Preisschild ausweist. Stein tröstet sich mit Dirigier-Übungen und Konzerten drüber hinweg und stellt schließlich der Dirigentin Maria Bensson nach, die in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden einer politisch heiklen Inszenierung von Wagners Ring entgegenfiebert.
Subtil zeichnet der Autor das Parallelogramm der Macht - das Stein derart in den Bann zieht, dass er zuletzt an seinen Flanken zerschellt. Gleichzeitig ein spitzzüngiger Bericht über den Berliner Betrieb.

 

Hans Rudolf Vaget, Seelenzauber. Thomas Mann und die Musik. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2012

 

Angeleitet von seiner musikalischen Mutter, entdeckte Thomas Mann schon als Kind das Reich der Tonkunst. Seine intensive Beschäftigung mit dem Kanon der Musikgeschichte spiegelt sich in seinen Texten und gipfelt endlich im Doktor Faustus. Hierfür knüpfte er Kontakte zu Komponisten, Dirigenten und Musikwissenschaftlern.

Außerdem ist sein Verhältnis zur Musik Richard Wagners geradezu ein Spiegelbild der deutschen Geistesgeschichte, weswegen dies gut recherchierte und fesselnd geschriebene Buch nicht nur Musikern ans Herz gelegt sei.

 

Andrea Himmelstoß, Fürth. Porträt einer Stadt. Gmeiner-Verlag, Meßkirch 1. Aufl. 2016

 

Kein Baedeker, den man Punkt für Punkt abhakt und danach im Bücherregal versauern lässt, sondern ein Vademecum, das man gern neu zur Hand nimmt. Die Autorin erzählt Fürther Geschichte(n) - nicht anhand von nackten Jahreszahlen, sondern im Pulsschlag der Stadt.

In vierzig Kapiteln lässt sie Fürther(innen) erzählen, deren Beruf wie Berufung so bunt und schillernd ist wie ein Regenbogen. Ob Kantorin, Hutmacherin, Billiger Jakob oder Buchhändler, sie alle tragen bei zum Bild einer Stadt, der nur zu gerne das abschätzige Attribut bei Nürnberg angehängt wird.

 

Regina Schleheck, Der Kirmesmörder Jürgen Bartsch. Biografischer Kriminalroman. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 1. Aufl. 2016

 

In den sechziger Jahren hält ein Triebtäter das ganze Ruhrgebiet in Atem. Entführt auf Jahrmärkten Jungen und quält sie in seinem Versteck bestialisch zu Tode. Als ihm doch einer entrinnt und er daraufhin festgenommen wird, heißt es allerorten: Auge um Auge, Zahn um Zahn!

Sehr einfühlsam schildert die Autorin das Geschehen; sie lässt dabei die Opfer berichten, dazu Weggefährten des Täters. Auffällig an diesem Roman ist, dass keine einzige Szene aus dessen Warte erzählt. Dennoch taucht der Leser in das zwanghaft-kriminelle Innere des Kirmesmörders ein.
Gleichzeitig ist der Roman, der ganz im Pulsschlag des Ruhrgebiets geschrieben ist, eine Sozial- und Mentalitätsgeschichte der jungen Bundesrepublik.

 

Abbitte

 

Ich weiß wohl, Ihr seid mir nicht gram, Ihr lieben Kolleg(inn)en mit Euren wunderbaren Büchern. Die es allesamt längst verdient hätten, auf diese Seite zu kommen.
Denn Ihr wisst ja selber aus Erfahrung, dass die eigenen Projekte einen derart umtreiben können, dass alles andere zurückstehen muss.
Dennoch leiste ich Abbitte. Weil wir Autoren davon leben, dass man unsere Bücher nicht nur kauft, sondern auch darüber spricht.

 

Stefanie Gregg, Duft nach Weiß. Roman. Pendragon Verlag, Bielefeld, 1. Aufl. 2016

 

Im September 1978 wurde, auf Geheiß des damaligen bulgarischen Staatspräsidenten und ZK-Sekretärs Schiwkow, der bulgarische Dissident Georgi Markow in London durch einen mit Gift präparierten Regenschirm ermordet.

Neben diesem historischen Mordfall erzählt die Autorin mit großer Wärme und Empathie vom Schicksal der bulgarischen Familie Lulewa. Einer Familie „ohne Männer“, mithin von mutigen Frauen, deren Hunger nach Freiheit typisch ist für jene Verheerungen des letzten Jahrhunderts, die auch heute noch die gleichen Verheerungen sind. Eine Geschichte, die den Leser bis zur letzten Seite fasziniert, zumal die Autorin beide Erzählstränge geschickt miteinander verknüpft.

 

Susanne Diehm/Lisa Sintermann, Erfolgreiche Blogtexte. Inspiriert und kreativ schreiben für guten Content. mitp Verlag, Frechen, 2016

 

Öfters leer gebloggt? Das Papier blütenweiß? Dies müsste nicht sein, denn Themen gibt es zu Hauf.

Mit kreativ zum Mittun einladenden, gezielten Lockerungstechniken gelingt es den beiden Autorinnen, Ideenstau und Schreibblockade ein Schnippchen zu schlagen. Wirksame Hilfe zur Selbsthilfe, zum allfälligen Neuverschalten des Verstandes. Und doch so handlich, dass man es nirgends zu entbehren braucht. Ein Buch mithin, das in keiner Autorenbibliothek fehlen sollte.

 

Gabriele Knoll, Route der Industriekultur. Bewahrtes Erbe des Ruhrgebiets. Grebennikow Verlag, Berlin, 1. Aufl. 2014

 

Vor sechs Jahren bereiste ich erstmals das Ruhrgebiet. Auf Zeche Zollverein bot sich beste Sicht von der Aussichtskanzel - zig Schlote ragten rings umher in den Himmel. Allenfalls zehn davon rauchten noch.

Wie es dazu kam, erzählt dieses Buch, mit dem man auch bestens auf Reisen gehen kann, weil es nach Städten gegliedert ist. Man lese es mit Respekt, denn von der Ruhr rührt jener Wohlstand her, von dem unser Land bis heute zehrt. Und wo, den Unkenrufen zum Trotz, eine einzigartige Kulturlandschaft entstanden ist, in die zu investieren sich lohnt.

 

Tatjana Flade, Herz im Fadenkreuz. Liebe in Zeiten des Terrors. edition oberkassel, Düsseldorf, 1. Aufl. 2016

 

Ein Abend in der Bonner Kneipe „Känguru“, und nichts ist mehr wie zuvor. Esthers und Lysanders Blicke bleiben fest aneinander hängen. Wenn Lys bloß nicht so arg verschlossen wäre. Hat er etwas zu verbergen?

Mit liebevoller Eindringlichkeit und Empathie zeichnet die Autorin das Innere der beiden Studenten. Ihre Liebe, die schon bald auf harte Proben gestellt wird. Wird sie sich festigen können unter dem Damoklesschwert blutiger Anschläge, die spätestens seit München und Ansbach so beklemmend aktuell geworden sind?

 

Ludwig Merkle, Bairische Grammatik. edition monacensia im Allitera Verlag, München, 2005

 

Schon gestolpert über Wann i mit meinå Wampm kanndd, na steigad i afd Kampmwand? Dann studiere man dieses treffliche Werk, das nicht allein eine Grammatik, sondern auch eine Phonologie ist, weil es durch die stets lauttreue Schreibung die passgenaue Aussprache gleich mitliefert.

Solcherart unterrichtet, wird der Wohlbeleibte nicht nur die Gondel rauf zur Kampenwand nehmen; er weiß dann auch, dass der Satz gleich zwei bairische Konjunktive enthält, einen starken und einen schwachen.

 

Shannon Crowley, Hillmoor Cross. Thriller. edition oberkassel, Düsseldorf, 1. Aufl. 2016

 

Idyllisch ist es um Hillmoor Cross, an der kliffreichen Westküste Irlands. Doch diese Idylle trügt: Kleine Jungen werden als vermisst gemeldet und später tot aufgefunden.

Rund um das Thema sexueller Missbrauch von Kindern zeichnet die Autorin messerscharf die beteiligten Personen, jedoch stets mit großer Sensibilität. Sehr behutsam präsentiert sie uns auch den Beschuldigten, der sich, je länger desto mehr, in seinen Schlingen verstrickt. Der virtuos komponierte und spannende Thriller nimmt den Leser gefangen. Und lässt ihn in einem Zug bis zur letzten Seite durchschmökern. Kompliment!

 

Hans-Ulrich Treichel, Menschenflug. Roman. Suhrkamp Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main, 1. Aufl. 2007

 

Phantomschmerz Luzk. Luzk in Wolhynien. Nebst dem dazugehörigen Landkreis und den fünfzig untergegangenen deutschen Posaunenchören.

Dargestellt an Stephan, einem an sich erfolgreichen, jedoch an seinem wolhynischen Erbe leidenden Sprachwissenschaftler, dessen innere Verwerfungen und Abgründe für zahllose Vertriebenenkinder kennzeichnend sind.

 

Petra Hartlieb, Meine wundervolle Buchhandlung.  DuMont Buchverlag, Köln, 2014

 

Ein Gebot "Bruder Leichtfuß" bei Ebay - und nichts ist mehr wie zuvor. Denn ersteigert ist eine verwaiste und dringend ausbaubedürftige Buchhandlung in Wien. Der rasche Umzug von Hamburg an die Donau ist da noch das Harmloseste.

Alles Weitere lese man nach in diesem humorvollen und erfrischend lakonischen Bericht, den man gut in einem Rutsch durchschmökern kann.

 

Die Autoren-Zeitschrift „Federwelt“

 

Außer der Reihe - weil zu den geraden Monaten - liegt sie bei mir im Briefkasten, und auch inhaltlich weiß sie, wo es not tut, gegen den Strich zu bürsten. Und hält den Autor, gleich welchen Genres, zuverlässig auf dem Laufenden.

So ist denn eines beraten, beschlossen, verkündet: Dass ich bereits der nächsten Ausgabe entgegen fiebere.

 

Ulrike Draesner,  Sieben Sprünge vom Rand der Welt. Roman. btb-Verlag, München, 1. Aufl. 2016

 

Hitler und die Folgen: eine Familie flüchtet aus Schlesien nach Bayern; die andre wird von Ostpolen nach Schlesien umgesiedelt.

Die Autorin schildert an den Familien Grolmann und Nienaltowski die Verheerungen von Krieg, Flucht und Vertreibung, bis in die heutige Zeit und bis ins dritte und vierte Glied. In eindringlichen Szenen legt sie den Finger tief in die Wunden, die noch nicht verheilt sind. Ein spannender Roman; sehr sprachgewaltig und hie und da vielleicht eine Spur zu gewollt ambitioniert.

 

Zora del Buono, Gotthard. Novelle. Verlag C. H. Beck, München, 2015

 

Dieser Tage wurde, nach höchst vorbildlicher Planung, in der Schweiz der neue Gotthard-Basistunnel eröffnet.

Vor diesem aktuellen Hintergrund erzählt die Autorin in messerscharfen Sätzen von dem Berliner Eisenbahnfreund (und Hagestolz) Fritz Bergundthal, der eigentlich bloß ein paar Fotos von der oberirdischen alten Strecke knipsen will, dann aber binnen Tagesfrist den Abgründen der Mineure (sowie der Gefühle) verfällt. Ein Meisterwerk auf weniger als 150 Seiten.

 

Titus Müller, Der Schneekristallforscher. Erzählung. Adeo Verlag, Asslar, 2. Aufl. 2014

 

Jericho, Vermont/USA, 1887. Wilson Bentley, Sohn eines Bauern, fotografiert den Schnee und dringt so ein in die Welt der Kristalle. Bei den vom Schnee geplagten Dörflern stößt er auf Unverständnis. Bis er der jungen Lehrerin Mina Seeley begegnet, die aus dem Getriebe New Yorks für einige Zeit nach Jericho geflüchtet ist.

Ein gut recherchiertes, einer tatsächlichen Begebenheit nachspürendes Werk, das die Welt der Schneekristalle mit einer subtilen Liebesgeschichte verquickt. Dazu in seinem ruhigen Duktus ein Quell der Entschleunigung und Gelassenheit.

 

Ralph Bollmann, Walküre in Detmold. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 4. Aufl. 2012

 

Es begann in Neustrelitz. Angetan von einem "Fidelio" in der ehemals mecklenburgischen Residenz, hat der Autor die Idee, sämtliche deutschen Theater mit Opernaufführungen zu besuchen.

Herausgekommen ist ein herrlich subjektives, jedoch mit Augenmaß verfasstes Werk, das, auch abseits der Metropolen, mit Lust und Verve Zeugnis ablegt, eines ganzen Landes samt seiner kleinteiligen Theaterlandschaft, die es, trotz vieler Zwänge, unbedingt zu bewahren gilt.

 

Tilmann Lahme, Die Manns. Geschichte einer Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2015

 

Das Buch ist mehr als eine Familienchronik, es ist ein Hohlspiegel der jüngeren deutschen Geschichte – rund um den „Zauberer“, wie Thomas Mann von seinen Kindern genannt wurde. Die ihm alle sechs, ganz auf ihre Weise - und mal mehr, mal weniger erfolgreich - nachzueifern suchten.

Ein fesselnd geschriebenes Werk, das deutlich über den Horizont - und den Tod - Thomas Manns hinausweist.

 

Kathrin Aehnlich, Wenn die Wale an Land gehen. Roman. Aufbau Taschenbuch, Berlin, 2015

 

Erst dieser Tage reist Roswitha doch noch nach New York, um ihren Mick wiederzusehen, mit dem sie Jahre vor der Wende die DDR aus den Angeln zu heben versuchte.

Ein lesenswerter, da ungemein berührender Roman - über die Sehnsucht, eine Jahrzehnte überdauernde Liebe. Ferner eine tief unter die Haut gehende Erzählung der letzten Jahre der DDR.

 

Sabine Hinterberger, Wenn Wörter uns halten … Mit Mia und Herrn Klauber durch Iserlohn. Illustriert von Tanja Graumann. Mönnig-Verlag, Iserlohn, 2015

 

Kurz und überaus dicht – mit wenigen, kräftigen Strichen berichtet die Autorin von der Begegnung zweier scheinbar verschiedener und tatsächlich wesensverwandter Menschen, die beide mit einem schweren Verlust konfrontiert sind. Wohltuend knapp und überaus behutsam zeichnet sie zugleich das Bild dieser Stadt, wozu auch die Illustrationen im Buch ihren Teil beitragen.

 

Norman Doidge, Neustart im Kopf. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2. Aufl. 2014

 

Anders als lange angenommen, ist unser Gehirn plastisch; es kann sich bis ins hohe Alter entwickeln und sich nach Schlaganfällen und anderen Schlägen umprogrammieren.

Weiteres lehrt uns das angenehm knappe und dennoch erschöpfende Buch, das nicht nur zu informieren, sondern auch brillant zu erzählen weiß.

 

Andrea Reichart, Rock im Wald. Ein Norbert-Roman. Mönnig-Verlag, Iserlohn, 2015

 

Tierschutz ist immer segensreich, kommt aber bisweilen etwas moralinversäuert daher. Sympathisch jedoch bei diesem Roman, der eine virtuos komponierte, auf etwa drei Tage reduzierte Liebesgeschichte erzählt.

Und wer ist Norbert? Klar doch, ein Vierbeiner, sympathisch und stets auf der richtigen Fährte.

 

Susanne Rocholl, Die Früchte am Ende des Zweiges. Roman. Edition Contra-Bass, Hamburg, 2013

 

Nach der Islamischen Revolution verlässt die Iranerin Nasrin Land und Familie. Macht in Deutschland Karriere, zielstrebig und erfolgreich. Dann aber überredet sie, trotz der Bedenken der Eltern, ihre heimatverbundene Schwester Latife, ihr nach Deutschland zu folgen …

Ein wohltuend knapper, atemlos spannender und eindringlicher Roman. Klug, mit viel Empathie - und mit Figuren, die einen nicht mehr loslassen.

 

Jacqueline Lochmüller, Fränkische Verführung. Kriminalroman. Emons Verlag, Köln, 2014

 

Unruhe in Bayreuth – ein Mord, unweit des Festspielhauses, und nur wenige Wochen vor den Festspielen!

Ein lesenswerter Krimi; sehr liebevoll inszeniert und virtuos durchkomponiert. So hält er den Spannungsbogen bis zum Schluss.

Überzeugend zumal die Protagonistin, Kommissarin Benita, eine starke und, in ihrer einen kleinen Schwäche, ungemein anrührende und sympathische Figur.

 

Andrea Himmelstoß, Nürnberg und Fürth, die ungleichen Schwestern. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 1. Aufl. 2013

 

Gewiss, es geht auch um 1. FC Nürnberg – Greuther Fürth, aber eher am Rande. Denn die nicht in Franken geborene Autorin huldigt gerade nicht der Folklore der Feindschaft. Sie stellt vielmehr das Gemeinsame beider Städte heraus und weiß ausgewogen und spannend zu erzählen, mit Vorliebe abseits der Touris. Daher auch allen Eingeborenen wärmstens zu empfehlen.

 

Ulla-Lena Lundberg, Eis. Aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig. mareverlag, Hamburg, 2014

 

Ein junger Pastor tritt um das Jahr 1945 seine erste Pfarrstelle an, auf einer ziemlich abgelegenen Insel zwischen Finnland und Schweden. Durch sein offenes und herzliches Wesen gewinnt er sehr schnell die Herzen der Bewohner. Doch er zweifelt. Leidet, gut protestantisch, an seinen Schwächen und fühlt sich wie auf dünnem Eis …

Ein Roman, der einen nicht mehr loslässt, vor allem die sehr souveräne Erzählstimme, die eine unter die Haut gehende Geschichte darbietet.

 


Martin Meyer

Schriftsteller und Musiker


© Autorenfoto unten links: Manuela Obermeier

© (Autoren)Fotos Hintergrund & Slideshow: Ulrike Schaller-Scholz-Koenen, Manuela Obermeier und Vera Trescher

 

 

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